Bericht aus dem Litoral Paraná / Brasilien von GEAS

Aufgrund festgestellter schwerer Planungsmängel verzögert sich das Projekt des neuen Export-Eisenbahnkorridors in Paraná (Südbrasilien) „Nova Ferroeste“ um mittlerweile 3 Jahre. Der ursprüngliche Projektplan sah das Bieterverfahren in 2022 vor. „Laut Luiz Henrique Fagundes, Koordinator des staatlichen Eisenbahnplans, wird erwartet, dass alle Umweltgenehmigungen bis 2024 reguliert werden. Danach wird der "Wettbewerb" zwischen den Investoren um das Projekt beginnen. Das Bieterverfahren soll 2025 stattfinden.“ (cbn Curitiba, 23.11.23)
| von Rene Medawar
Bericht aus dem Litoral Paraná / Brasilien von GEAS

Auch hat es das Projekt „Nova Ferroeste“ mit den besonders kritischen letzten 50 Kilometern mitten durch den geschützten Regenwald zum Atlantikhafen Paranagua (bis jetzt?) NICHT in das Regierungsprogramm PAC (Programm zur Wachstumsbeschleunigung) der Regierung Lula geschafft. Das bedeutet, es gibt für dieses Projekt der Landesregierung keine direkte Unterstützung aus dem Bundesprogramm.
Die jetzige Regierung in Brasilia investiert stattdessen zusammen mit Paraguay, Argentinien und Chile in die Autobahn namens „Bioceanica“ für den Export via Pazifik (Antofagasta, Chile). 80% der geplanten Exporte bestehen aus Soja und Mais (vor allem als Tierfutter) und gehen in die asiatischen Märkte. Über den Pazifik ist der Transport nach China / Asien um bis zu 18 Tage schneller als via Atlantik. Die Interamerikanische Entwicklungsbank hat im Januar 2024 600 Mio. US$ für das Projekt freigegeben.
40% der Bauarbeiten für die entscheidende Brücke an der Grenze zwischen Brasilien (Porto Murtinho, Mato Grosso do Sul) und Paraguay sind bereits fertiggestellt. Präsident Lula hat bei seinem jüngsten Treffen im Januar den paraguayischen Präsidenten öffentlichkeitswirksam zum gemeinsamen Baustellenbesuch eingeladen.
Die Inbetriebnahme der „Bioceanica“ ist für 2027 vorgesehen und wird letztlich den Hafen in Santos (Brasilien) mit den Häfen in Chile direkt verbinden.
Beide Verbindungen („Nova Ferroeste“ und „Bioceanica“) bedienen exakt dieselben Produktionsgebiete im Inland von Brasilien. Die dortigen Produzent*innen werden mit Sicherheit ihre Mengen zum eigenen Vorteil zwischen den Verbindungen aufteilen.
Die Landesregierung von Paraná ficht das nicht an. Der Einfluss der Konkurrenzstrecke auf die Frachtprognosen wird trotz mehrfacher Hinweise in den öffentlichen Anhörungen (Mai / Juni 2022) auch in der aktualisierten Planung (August 2023) negiert. Die Regierung Paraná sucht weiter internationale private Investoren für eine Konzession über 99 Jahre, ohne nachherige Rückgabe des Grund und Bodens und ohne Nutzungsbeschränkung, falls sich eine Eisenbahn doch nicht lohnen sollte.
Nach wie vor werden 100% der produzierten Exportmengen aus dem Inland zur Verschiffung im Atlantikhafen Paranagua eingeplant, wissend, dass der Korridor via Pazifik schon 8-10 Jahre vor der geplanten Eisenbahn in Betrieb sein wird.
Es geht den Gemeinden und Kritikern nicht darum, eine sinnvolle Eisenbahn zu verhindern, sondern es geht ihnen um eine fundierte und gewissenhafte Planung. Riesige Bauruinen gibt es (nicht nur) in Brasilien genug. Die vorhandene, wenn auch alte Eisenbahnlinie zum Hafen von Paranagua ist bei weitem nicht ausgelastet und könnte sehr wahrscheinlich die tatsächlichen anfallenden Frachtmengen bewältigen. Das Gesetz „Lei Mata Atlantica“ fordert eindeutig eine solche ergebnisoffene Prüfung, um ein begründetes öffentliches Interesse nachzuweisen. Andernfalls darf ein solches Projekt nicht durch die Mata Atlantica geführt werden.
Ein weiterer Aspekt, der Zweifel an der Gesetzeskonformität des Projekts in seiner jetzigen Form aufkommen lässt, ist die beständige Weigerung der Landesregierung von Paraná, die aktuelle Situation in den Gemeinden entlang der Trasse korrekt zu dokumentieren.
Die Umweltbehörde IBAMA hat in ihrer Ablehnung der Umweltgenehmigung für das Projekt im Oktober 2022 insbesondere im letzten Abschnitt durch den atlantischen Küstenregenwald auf die Gefahren bzgl. Erdrutschen in direkter Nähe bewohnter Gebiete hingewiesen sowie auf die Berücksichtigung der vielen Eingaben durch Bewohner und deren Organisationen in den öffentlichen Anhörungen im Mai / Juni 2022. Unter anderem geht es darum, dass in den Gemeinden Rio Sagrado, Sambaqui, Mundo Novo und Floresta heute mehr als 5.000 Menschen leben und es eine Vielzahl von wirtschaftlichen Aktivitäten gibt, die in ihrer Mehrheit unmittelbar auf der Unversehrtheit der natürlichen Ressourcen (Wasser, Boden, Waldbestand) basieren.
Mundo Novo zum Beispiel, ist heute ein Zentrum der Bio-Landwirtschaft mit der regional größten Produktion und Semi-industriellen Verarbeitung von mehreren Tonnen Bio-Tomaten, bzw. Bio-Maracuja. Der Energiebedarf wird zu 100% durch selbst erzeugte Solarenergie gedeckt, der Überschuss der Solaranlage wird von der Gemeinde verbraucht. Es besteht eine enge Kooperation mit der Universität Paraná im Bereich der organischen Landwirtschaft. Im Februar und März dieses Jahres findet das erste Austauschpraktikum mit der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberwalde / Berlin (HNEE) statt. Die Dorfgemeinschaft ist in über 15 regionalen und überregionalen Organisationen aktiv, unter anderem in der Verwaltung der benachbarten Nationalparks St.Hilaire/Lange und Guaricana. In Mundo Novo befindet sich mittlerweile ein Veranstaltungszentrum, in dem regelmäßige Weiterbildungskurse für die ländliche Bevölkerung stattfinden. Außerdem ist Mundo Novo der Vorreiter der Region in Sachen Mülltrennung mit einer Recyclingquote von deutlich mehr als 50%. Seit 20 Jahren organisiert die Dorfgemeinschaft in Zusammenarbeit mit dem regionalen Wasserversorger ihre eigene Wasserversorgung mit Quellwasser.
In der jüngsten Aktualisierung (und nach ausführlichen Beiträgen der Gemeinde in den öffentlichen Anhörungen) beschreibt die Regierung die Gemeinde Mundo Novo im August 2023 weiterhin wie folgt: "... Die Gemeinde Mundo Novo in Morretes verfügt über ein Geschäft, eine katholische Kirche, die Kirche des Heiligen Josef, und drei evangelische Kirchen. Die Schüler, die in Mundo Novo wohnen, gehen zur öffentlichen Schule in der Gemeinde Marta, die etwa 20 Kilometer entfernt ist. Die Straßen in Mundo Novo sind nicht asphaltiert, und die Gemeinde verfügt weder über aufbereitetes Wasser noch über ein Abwassersystem, sondern nur über eine Müllabfuhr, die einmal pro Woche stattfindet. Es gibt keine öffentlichen Verkehrsmittel, aber es gibt einen Schülertransport. Die Gemeinde hat eine öffentliche Beleuchtung und verfügt über ein Telefon- und Internetnetz...".
Unter anderem mit Hilfe dieser (sehr verzerrten) Darstellung rechtfertigt die Regierung, den gebotenen Sicherheitsstandard der Eisenbahn auf das niedrigste Niveau zu setzen und die wirtschaftliche und soziale Interessenslage der Gemeinde als quasi nicht existent zu klassifizieren. Entsprechend hat die Regierung eine kosmetische Änderung der Streckenführung dergestalt durchgeführt, dass die geplante Trasse nun nicht mehr als 120 Meter hoher Viadukt direkt mitten über das Dorf, sondern der Viadukt nun 500 Meter weiter in den Wald hinein direkt über dem Wasserreservoir des Dorfes verlaufen soll. Vom Regen in die Traufe?   

Die Gemeinde Mundo Novo wird die beschriebenen Fakten offiziell dokumentieren und beim Verantwortlichen der Umweltbehörde für das Genehmigungsverfahren sowie bei der Landesregierung selbst protokollieren.

P.S: das im letzten Newsletter angekündigte Webinar verschiebt sich leider auf Ende des Frühjahres. Wir haben völlig unterschätzt, dass hier in Brasilien im universitären Bereich zwischen Dezember bis nach Karneval Mitte Februar nichts läuft und die Uni-Kooperation wiederum ein wichtiger Bestandteil des Webinars darstellt.    


GEAS (Grupo de Estudos e Ações para a Serra do Mar) ist eine parteiunabhängige und interdisziplinäre Studiengruppe aus den Bereichen Recht, Wirtschaft und Naturwissenschaft, in Zusammenarbeit mit Einrichtungen der staatlichen Universität von Paraná. Der Sitz der Gruppe ist die Gemeinde Morretes, am Fuß der Serra do Mar. Ihre Zielsetzung ist die Stärkung des UNESCO-Biosphärenreservates "Serra do Mar" im Küstenbereich von Paraná. In gleicher Weise arbeitet die Gruppe für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung der ländlichen Gemeinden der Region.
Es bestehen internationale Kooperationen, u.a. mit universitären Einrichtungen. 

Kontakt: Rene Medawar,
Mundo Novo do Saquarema, 83350-000 Morretes-Paraná 
Signal / WhatsApp: 49 172 277 81 42
e-Mail: 
geasdm22[at]gmail.com