Atomkraft – nein danke!

Seit 1975 gibt es ein Atomabkommen zwischen Deutschland und Brasilien. Es soll der nuklearen und technologischen Stärkung Brasiliens und dem Aufschwung der deutschen Wirtschaft dienen. Effektiv hatte dieses Abkommen lediglich einen Reaktor in Brasilien zur Folge und existiert seitdem ausschließlich auf dem Papier. Energiepolitisch relevant ist es trotzdem.
| von Luiz Ramalho
Atomkraft – nein danke!
Foto: Protest Angra 3, Alex Carvalho, Greenpeace Brasilien, CC-BY-SA-2.0

Der deutsch-brasilianische Atomvertrag gehört gekündigt | Ein Beitrag von Luiz Ramalho

Seit 1975 gibt es ein Atomabkommen zwischen Deutschland und Brasilien. Es soll der nuklearen und technologischen Stärkung Brasiliens und dem Aufschwung der deutschen Wirtschaft dienen. Effektiv hatte dieses Abkommen lediglich einen Reaktor in Brasilien zur Folge und existiert seitdem ausschließlich auf dem Papier. Energiepolitisch relevant ist es trotzdem.

Im September 1990 versiegelte der erste frei gewählte Präsident Brasiliens nach der Militärdiktatur, Fernando Collor de Melo, den dreihundert Meter tiefen Tunel do Cachimbo im amazonischen Bundesstaat Para. Damit wurde der für unterirdische Atomwaffen­tests des Militärs vorgesehene Tunnel geschlossen, und praktisch auch das sogenannte nukleare Parallelprogramm (Programa Nuc­lear Paralelo) beendet: jenes geheime Programm, das von der Militärdiktatur seit 1979 neben dem deutsch-brasilianischen Atomabkommen betrieben wurde. 

Das deutsch-brasilianische Atomabkommen wurde 1975 zwischen der sozialdemokratischen Regierung der Bundesrepublik Deutschland unter Helmut Schmidt und dem deutschstämmigen, brasili­anischen Militärdiktator Ernesto Geisel geschlossen. Dies geschah in einer Zeit, zu der die brasilianische Militärregierung sich außen­politisch von der Abhängigkeit und Einflussnahme der USA zu befreien versuchte. Der Atomvertrag führte zu politischen Zerwürf­nissen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA, galt gleichermaßen jedoch als das größte technologische Programm Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg, da es den Bau von acht Atomkraftwerken durch KWU Siemens vorsah und teilweise die Weitergabe der Technologie der Urananreicherung miteinbezog. Finanziert wurde dies durch deutsche Banken und staatliche Bürg­schaften der Bundesregierung. Da der geschlossene Uranstoffkreis­lauf im Rahmen des Programms nur bedingt machbar war – es gab bereits damals den Hinweis in der deutschen Öffentlichkeit über die Möglichkeit der militärischen Nutzung des Abkommens – ent­stand durch die brasilianische Marine das sogenannte Parallelpro­gramm, mit dem Ziel, eigene Atombomben produzieren zu können. Wichtiger Teil des Atomvertrags zwischen Brasilien und Deutschland über den Bau und die Lieferung von Atomausrüstung waren dabei umfangreiche Aus- und Fortbildungsmaßnahmen. Diese umfassten auch über 700 Auslandsstipendien für Wissenschaftler*innen in Promotions – und Postgraduierungsprogrammen der Nuklearphysik und verwandter Fächer, die meisten davon in Deutschland.

Was wurde nun im Rahmen des Programms letztendlich wirklich gebaut? Am vorgesehenen Standort Angra dos Reis, einer Stadt an der südlichen Küste Brasiliens, etwa 150 Kilometer von Rio de Janeiro, sind aktuell zwei AKWs in Betrieb. Angra 1 wurde vom US-amerikanischen Konzern Westinghouse gebaut, Angra 2 ist das einzige AKW, das im Rahmen des Vertrags fertiggestellt wurde und mittlerweile von einer französischen Firma betrieben wird. Angra 3, mit Baubeginn 1984, liegt seit Jahren halbfertig in der Nähe von Angra 2 und soll laut aktueller Pläne weitergebaut werden. 

Energiepolitisch fatal 

Der technische Stand von Angra 2 ist völlig veraltet und entspricht dem Niveau der Atomkraftwerke, die in Deutschland aus Alters­ gründen abgeschaltet wurden. Hinzu kommt, dass die Nuklearsi­cherheit der Angra-AKWs nicht gewährleistet werden kann. Es gibt nur rudimentäre Notfallpläne und der Standort ist Erdrutsch- und Erdbeben gefährdet. Dies wird auch von der brasilianischen Anti­ Atombewegung (Articulacao Nuclear) in einem offenen Brief vom 04. Mai dieses Jahres an Präsident Lula da Silva benannt. Der Brief wurde von 95 zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie von zahlreichen Wissenschaftler*innen und NGO Aktivist*innen unterstützt. Weder Deutschland noch Brasilien erwarten, dass der Bau der restlichen Reaktoren, wie im Vertrag ursprünglich vorgesehen, umgesetzt wird. Der Vertrag ist somit nur noch Symbolpolitik. Dabei sollte die Aufrechterhaltung eines Atomenergie – unterstützenden Abkommens als falsches Signal von Seiten der BRD gewertet werden.

Rückkehr zur Atomenergie? 

Dennoch veröffentlichen brasilianische Medien positive Berichte über Atomenergie, verweisen auf den EU-Beschluss vom Juli 2022, der Atomenergie als »grüne Übergangstechnologie« deklariert, und darauf, dass die EU sich nicht komplett von der Atomenergie ab­ gewendet hat. Die Aussagen von einigen deutschen Politiker*innen, unter anderem aus CDU und FDP, welche den Atomausstieg be­ dauern, leisten das Übrige. 

Gleichzeitig dazu hat die Regierung von Präsident Lula da Silva in dem aktuellen Investitionsbeschleunigungsprogramm PAC, den Bau von sechs neuen AKWs am Fluss Sao Francisco sowie die Fertig­stellung von Angra 3 als Teil der ,grünen‘ Transformation Brasiliens vorgesehen. Angra 3 würde einen Milliardenbetrag vom PAC ver­schlucken, anstatt in günstige und nachhaltige Energieformen zu fließen. Atomenergie deckt nicht nur lediglich zwei Prozent des nationalen brasilianischen Energiebedarfs, sondern ist je nach Be­rechnung auch 3- bis 5-mal so teuer wie Wasserkraft, Wind und Solarenergie. Diese erleben gerade einen regelrechten Boom in Brasilien, weshalb das brasilianische Atomvorhaben unverständlich ist. Atomenergie ist langfristig unsicher, unrentabel und teuer. Man kann nur hoffen, dass die brasilianische Regierung ihre Pläne, welche auch die absurde Idee des Energieministers Alexandre Silveira von Mini-AKWs im Amazonas enthalten, überdenkt und absagt. 

Auch wenn das Parallelprogramm begraben wurde und das deutsch­ brasilianische Atomabkommen nunmehr lediglich auf dem Papier existiert, ist das strategische Interesse der brasilianischen Marine in der Beherrschung der Nukleartechnologie nicht kleiner geworden. 2008 schloss Brasilien mit Frankreich ein Rüstungsabkommen zum Bau von vier konventionellen und einem atombetriebenen U-Boot in Höhe von acht Milliarden Euro. Frankreich scheint weiterhin gewillt zu sein, die eigene nukleare Technologie an Brasilien zu verkaufen, wofür immerhin eine Urananreicherung von 20 Prozent, welche für die Konstruktion von Nuklearwaffen ausreicht, notwendig ist. 

Ziemlich gute Freunde 

Am 27. März dieses Jahres kündigte Präsident Lula zudem bei einem Staatsbesuch des französischen Präsidenten Macron eine Partnerschaft mit Frankreich an, um eine Technologiekooperation zum Bau von atombetriebenen U-Booten in Brasilien weiterzufüh­ren. Macron erklärte dies als »einen einmaligen, noch nie da ge­wesenen Transfer von Technologie.« Die brasilianisch-französische Kooperation in Sachen Nukleartechnologie steht somit im Begriff, ein wichtiges Abkommen für die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen der beiden Länder zu werden. 

Die französische Regierung verfolgt hierbei eigene Interessen, welche sich auf die brasilianischen Uranreserven beziehen. Denn nach dem Militärputsch in Niger droht eine der wichtigsten fran­zösischen Quellen von Uran unzugänglich zu werden. Frankreich als eine auf Atomenergie setzende Nation ist also an neuen Uranquel­len interessiert. Die wirtschaftlichen, neokolonialen Interessen Frank­reichs stehen somit wieder einmal im Vordergrund der Ausbeutung natürlicher Ressourcen von Ländern des Globalen Südens. Bei dieser Entwicklung scheint die Regierung Brasiliens bereitwillig mitzumachen. Und das vor dem Hintergrund der Geschichte des Uranabbaus in Brasilien, der im Zeichen zahlreicher Umweltkata­strophen und erheblichen Gesundheitsrisiken für die Bevölkerung und somit ständig im kritischen Blick der Zivilgesellschaft steht. In Bezug auf das deutsch-brasilianische Atomabkommen wäre es wünschenswert, dass die deutsche Bundesregierung dieses als Zeichen gegen Atomenergie endlich aufkündigt. Die nächste Frist dafür ist der 18. November 2024, so könnte der Atomvertrag zwischen Deutschland und Brasilien ein Jahr später auslaufen. Dies wäre auch als solidarisches Zeichen gegenüber der brasilianischen Anti-Atombewegung zu werten, wo immerhin in den zuständigen Ministerien in Deutschland grüne Parteimitglieder die Minister*in­nenposten besetzen. 

Das Auswärtige Amt zögert noch vor dem Schritt einer Kündi­gung des Abkommens, da dies ihrer Einschätzung nach als un­freundlicher Akt gegenüber der Lula-Regierung wahrgenommen werden könnte: eine Regierung, die geopolitisch und wirtschaftlich als strategisch wichtiger Partner Deutschlands gilt. Die Idee, das Abkommen in eines für erneuerbare Energie umzuwandeln, wird  währenddessen als mögliche »weiche Kündigung« intern erwogen. Es bleibt zu hoffen, dass sie sich nicht zu viel Zeit lassen. 

 

Luiz Ramalho ist Vorsitzender des LAF Berlin e.V., Soziologe, unabhängiger Entwicklungsberater und ehemaliger leitender Angestellter der GIZ.

Der Beitrag ist mit Genehmigung des Autors dem Newsletter 02/25 des LAF Berlin e.V. entnommen.

Beitragsbild: Alex Carvalho, Ativistas do Greenpeace instalam balsa flutuante com quatro turbinas eólicas simbólicas em frente às usinas nucleares de Angra dos Reis (RJ) para protestar contra os investimentos do governo brasileiro na construção de Angra 3, 07/04/2009, CC BY-SA 2.0.