Agro é Fogo – brasilianisches Agrarmodell steht für Brandstiftung und Zerstörung
Die Plattform Agro é Fogo wird von der ökumenischen CESE getragen, unterstützt von der Landpastorale CPT, FASE, dem indigenen Missionsrat CIMI und anderen. Aktuell wurde das umfassende Dossier lanciert und in einer internationalen Online-Konferenz mit über 100 Teilnehmenden vorgestellt. Eine englische Version des Dossiers wird für Mitte Mai erwartet.
Das Ziel ist jedoch nicht allein, die Zerstörung natürlicher Ressourcen und ihre Treiber sichtbar zu machen. Die Zusammenhänge sind komplex und weitreichend, weit über nationale Grenzen hinweg. Transnationale Konzerne verdienen über das mächtige Agrar-System Brasiliens genauso wie Banken oder Pensionskassen, die ihren Kunden vermeintlich grüne oder fortschrittliche Kapitalanlagen in Form von Land oder Ressourcen aus den Ländern des Südens verkaufen.
Die Agrarindustrie hat in Brasilien seit jeher eine mächtige Lobby, die politisch eigene Interessen durchsetzt. Das neue Forstgesetz Código florestal wurde 2012-2017 nach ihren Interessen angepasst, inzwischen sind immer neue Gesetzgebungen zur Förderung mineralischer Rohstoffe in Arbeit. Als Teil der Regierung Bolsonaro zeigt sie, wohin sich die Agrarmacht Brasilien entwickeln soll. Finanzielle Unterstützung wird dieser Gruppe durch Steuererleichterungen, niedrige Energiepreise, Straffreiheit bei illegaler Entwaldung auf eigenen Flächen von politischer Seite gewährt. Auch ordnungspolitisch motivierte Prozesse wie das Landkataster CAR sind für Missbrauch und als Instrument zur Legalisierung von Landraub geeignet. Das politische System sieht bislang zu wenig rechtlichen Schutz und territoriale Absicherung für kollektive und traditionelle Landbewirtschaftung vor. Die Agrarreform ist politisch und ideologisch lahmgelegt, stattdessen werden Privatisierungsprozesse vorangetrieben, die die maroden Staatskassen füllen sollen.
Dabei geht es nicht nur um landwirtschaftliche Produktion, sondern zunehmend auch um Landkonzentration. Beispielsweise, um Soja im großen Stil als commodities (Agrargüter werden wie Rohstoffe gehandelt) für den Export zu produzieren. 75% davon gehen als eiweißhaltiges Futtermittel nach China, die USA und in die EU. Es geht auch um Aufforstungen mit transgenem Eukalyptus als sogenannte Barriere gegen den Klimawandel, was im Klimaabkommen 2016 für 12 Millionen Hektar unter dem Stichwort Biofuturo festgeschrieben wurde. Und nicht zuletzt geht es um immer mehr Platz für Rinderherden zur Fleisch- und Lederproduktion für den Export. Der Kampf um Land ist längst entbrannt.
Agro steht in Brasilien längst auch für gelegte Brände, um Land zu säubern – von Bewaldung, aber auch von traditioneller Bevölkerung, die dieses Land seit Generationen bewirtschaftet und gegen einen Staat kämpft, der ihm die rechtliche Grundlage zur Bewirtschaftung entziehen möchte. 2019 und 2020 gingen die Bilder von Bränden in Amazonien, im Pantanal und im Cerrado um die Welt. Feuer wird als Waffe eingesetzt, analysiert die Gruppe aus Wissenschaftler*innen und Mitarbeiter*innen der Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen. Mit traditioneller Brandrodung hat das nichts zu tun. Das Land soll gesäubert werden, um dann am Markt einen Wert zu erhalten, handelbar zu sein und über einen Landtitel gesichert zu werden. Auf diesem Weg wird es dem agrarindustriellen System einverleibt, das keine sozialen oder ökologischen Standards kennt, sondern allein der Gewinnmaximierung folgt. Das System der Agrarindustrie und der landwirtschaftlichen Mega-Betriebe übt einen starken expansiven Druck auf die Fläche aus, öffentliches Land wird über den Prozess des grilagem (Landaneignung) bis hin zum Landtitel privatisiert oder an transnationale Unternehmen veräußert.
Auf Satellitenbildern kann man diese Agrarfront in Form der Brände und der unkontrollierten illegalen Entwaldung deutlich erkennen. Sie reicht von MATOPIBA (dem Agrar-El-Dorado für Monokulturen in Maranhão, Tocantíns, Piauí und Bahia) über Infrastrukturachsen wie die BR 163 bis hin zu Orten mit Großprojekten wie Belo Monte in Pará. Auf 70 Millionen Hektar wird ihr Wachstum bis 2030 beziffert. Auch illegale Entwaldung bedient häufig das Interesse der Agrarlobby. Bolsonaros Rhetorik und der finanzielle Rückbau sanktionierender Maßnahmen und Organisationen (z.B. der staatlichen Umweltbehörde Ibama, die illegale Rodung und Brände ahnden sollen) haben ebenfalls dazu beigetragen. 2020 war die illegale Entwaldung Brasiliens um 34 Prozent gestiegen. Sie betrifft alle drei Biome: das Amazonasgebiet, die Savannenlandschaft Cerrado und die Feuchtgebiete des Pantanal. Eine Gegenstrategie muss also für alle drei Biome gemeinsam entwickelt werden, fassen die brasilianischen Expert*innen zusammen. Sie sollte die Rechte der traditionellen Völker und Gemeinschaften stärken, die über traditionelles Wissen und Methoden verfügen und Landwirtschaft auf nachhaltige Weise betreiben.
Das Dossier greift mehrere Fallbeispiele auf. Eines davon erzählt die Geschichte der indigenen Guató, die im Pantanal (Mato Grosso) leben. 2018 wurden 19.000 Hektar indigenes Territorium im Landausweisungsprozess von der Präsidentin per Dekret bestätigt. Ende desselben Jahres, nach dem Putsch gegen Präsidentin Dilma Rousseff wurde dieser Prozess annulliert. 2020 brannten 16.704 Hektar dieser umstrittenen Fläche, die Indigenen gehen von Brandstiftung aus. 88% des Territoriums der Guató ist verbrannt.
Die Brände wurden in mindestens 20 Fällen strategisch eingesetzt, um Landstreitigkeiten mit traditionellen Völkern und Gemeinschaften ein Ende zu setzen, so das Dossier.
2020 ist der Druck auf Territorien und Naturgüter stark gestiegen. Der Erhalt von Biodiversität, Wasserhaushalt und Grundwasserleiter (Aquifere) ist gefährdet. Die Umwelt- und Klimafolgen reichen global weit über Brasilien hinaus. Bedrohlich ist diese Entwicklung aber auch für soziale Gruppen, die von den Prozessen im Streit um Landrechte verdrängt zu werden drohen. Obwohl die Analysen illegaler Entwaldung belegen, dass indigene Schutzgebiete und rechtlich gesicherte Territorien traditioneller Gemeinschaften dem Druck auf Wald und Umwelt standhalten. Dass sie zukunftsweisende landwirtschaftliche Praktiken beherrschen und ausüben. Traditionelle Gemeinschaften betreiben ihre landwirtschaftlichen Systeme angepasst an die ökologische und soziale Situation, häufig kollektiv und häufig auf öffentlichem Land. Seit Generationen produzieren sie auf diese Art und Weise gesunde Nahrungsmittel.
Der Gegner ist groß und übermächtig. Dennoch wehren sich die lokalen Akteure. Der indigene Verband COIAB berichtet von einer App in indigenen Sprachen, die als Frühwarnsystem bei Bränden und gegen Eindringlinge Alarm schlagen soll. Hier kommen Drohnen zum Einsatz, die das Territorium aus der Luft sichern sollen. Ein eigener Notfallplan wurde entwickelt, um die IBAMA z.B. in ihrem Kampf gegen Feuer unterstützen zu können.
Die bolivianische Anwältin Diana Murcia berichtet aus ihrem Land von einem Gerichtshof für Umweltstraftaten, der dafür sorgt, dass Eingriffe in staatliche Naturräume nicht straflos bleiben. Erst wenn ein Staat glaubhaft gegen Umweltstraftaten vorgeht, kann Abholzung aufgehalten werden.
Die Rolle und Verantwortung der Länder des Nordens wurde ebenfalls benannt. Transnationale Unternehmen haben dort ihre Firmensitze. Aber auch vermeintlich nachhaltige Entwicklungen wie die Umrüstung der Mobilität auf Elektromotoren birgt einen neuen Rohstoffhunger in sich, der den Druck z.B. auf das Amazonasgebiet weiter anheizen wird.