Agrarreform in Brasilien nahe dem Nullpunkt
Der Jahreshaushalt der Agrarreformbehörde INCRA für 2021 würde demnach zwar insgesamt um vier Prozent von 3,3 Milliarden Reais auf 3,4 Milliarden Reais (derzeit umgerechnet etwa 550 Millionen Euro) steigen, aber 66 Prozent (2,1 Milliarden Reais) entfielen dabei auf die Entschädigungszahlungen der Großgrundbesitzer:innen, die aus Enteignungsprozessen für die Agrarreform aus der Vergangenheit vor Gerichten nachträglich höhere Entschädigungsleistungen erstreiten. Während die Entschädigungszahlungen für die Großen auf Jahresbasis um 22 Prozent stiegen, würden laut Folha die staatlichen Programmmittel für technische Fachberatung der Agrarreform und Fortbildung in Agrarreform, in Anbau- und Landtitelrechtsfragen für die Kleinen um satte 99 Prozent gekürzt werden. Die INCRA-Programmmittel für die Anerkennung und künftige Homologation von Quilomboterritorien würden demnach um 90 Prozent gekürzt, die staatlichen Mittel für Kontrolle, Überwachung und befriedenden Lösungen von schwelenden Landkonflikten würden in dem Haushaltsentwurf der Bolsonaro-Regierung um 82 Prozent gekürzt, die Mittel für die Anerkennung von Ansiedlungen von Landlosen auf Gebieten, die rechtlich der Agrarreform zugeführt werden sollen, will Bolsonaro um 71 Prozent kürzen.
Während also die brasilianische Bundesregierung auf Anraten des starken Mannes in Grund- und Bodenfragen in der Bolsonaro-Regierung - Nabhan Garcia - zur Räumung von MST-Ansiedlungen die direkt dem Präsidenten unterstellten militärischen Einheiten der Força Nacional entsendet, soll die Agrarreform de facto durch Auhöhlen und Ausdünnen des finanziellen Spielraums der zuständigen Behörde auf Null zurückgeschraubt werden. Dies zeigt sich de facto an den Zahlen.
Im Rückblick der vergangenen 25 Jahre war es vor allem die Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva, die die Agrarreform in Brasilien zahlenmäßig am meisten voranbrachte. Zwar erreichte auch die Regierung von Fernando Henrique Cardoso (1995-2002) in den Jahren 1997 und 1998 Höchstwerte mit 81.944 bzw. 101.094 angesiedelten Familien, doch die historischen Spitzenwerte erreichte die Lula-Regierung (2003-2010) in den Jahren 2005 (127.506 Familien) und 2006 (136.358 Familien). Während der Regierung von Dilma Rousseff oszillierten die Zahlen der Ansiedlungen im Rahmen der Agrarreform zwischen vergleichsweise bescheidenen 22.012 Familien (2011) und 32.019 Familien (2014).
Die Regierung von Michel Temer (2016-2018), der 2016 durch ein parlamentarisches Amtsenthebungsverfahren, den parlamentarischen Putsch gegen die gewählte Präsidentin Dilma Rousseff an die Macht in Brasília gelang, hatte als eine ihrer ersten Amtshandlungen das Agrarreformministerium aufgelöst und die Agrarreformbehörde INCRA (Instituto Nacional de Colonização e Reforma Agrária) direkt dem Präsidialamt der Casa Civil unterstellt. Im März 2018 wurde bekannt, dass die Umsetzung der Agrarreform in Brasilien und Michel Temer nahezu zum Stillstand gekommen war, bevor nun unter Bolsonaro der Nullpunkt erreicht wurde.
Durch Agrarreform angesiedelte Familien:
Jahr |
Anzahl Familien |
1994 |
58.317 Familien |
1995 |
42.912 Familien |
1996 |
62.044 Familien |
1997 |
81.944 Familien |
1998 |
101.094 Familien |
1999 |
85.226 Familien |
2000 |
60.521 Familien |
2001 |
63.477 Familien |
2002 |
43.486 Familien |
2003 |
36.301 Familien |
2004 |
81.254 Familien |
2005 |
127.506 Familien |
2006 |
136.358 Familien |
2007 |
67.535 Familien |
2008 |
70.157 Familien |
2009 |
55.498 Familien |
2010 |
39.479 Familien |
2011 |
22.012 Familien |
2012 |
23.075 Familien |
2013 |
30.239 Familien |
2014 |
32.019 Familien |
2015 |
26.335 Familien |
2016 |
1.686 Familien |
2017 |
1.205 Familien |
2018 |
- Stand Sept. 2020 lagen auf der Seite der INCRA keine Zahlen vor. Letzte Aktualisierung laut INCRA am 4. Feb. 2019 |
2019 |
- Stand Sept. 2020 lagen auf der Seite der INCRA keine Zahlen vor. Letzte Aktualisierung laut INCRA am 4. Feb. 2019 |
Zahlen: Agrarreformbehörde INCRA1
1Siehe http://www.incra.gov.br/pt/n%C3%BAmeros-da-reforma-agr%C3%A1ria.html