Dürre als gesellschaftliches Naturverhältnis
Tobias Schmitt war jahrelang Vorstandsmitglied von KoBra und hat in seine wissenschaftliche Arbeit u.a. Erfahrungen mit Widerstandsbewegungen gegen die Ableitung des Rio Sao Francisco einfließen lassen. Seine Begegnungen mit Akteur*innen der Landverteilungskämpfe im Rahmen der Agrarreform sowie mit angepassten Systemen wie der Convivência com o semiárido sind beispielhafte Antworten auf eine Naturaneignung, die mit dem Ausbau von einseitigen Machtstrukturen einhergeht und sich auch im Zugang zu Wasser manifestiert. Tobias Schmitt analysiert post-koloniale Strukturen, die den Nordosten Brasiliens prägen und integriert gesellschaftlichen Widerstand dagegen in die wissenschaftliche Debatte.
Dürren gelten oftmals als Ursache für Hungerkatastrophen und Armut - die humanitäre Katastrophe wird als Ergebnis der Naturkatastrophe verstanden. Gesellschaftliche Ursachen treten so in den Hintergrund oder werden gar nicht erst benannt. Eine Dürre als gesellschaftliches Naturverhältnis zu begreifen und damit die Prozesse der sozialen Herstellung der Dürre in den Blick zu nehmen, erscheint hingegen gewagt, wenn nicht gar zynisch. Tobias Schmitt verfolgt in dieser Studie dennoch genau diesen Ansatz. Er betrachtet die Dürreverhältnisse im Nordosten Brasiliens als historisches und gesellschaftliches Produkt von Diskursen, Institutionalisierungen, Eigentums. und Produktionsverhältnissen und zeigt die Praktiken ihrer (Re-)Produktion auf. Eine zentrale Rolle spielen hierbei die post-kolonialen Machtverhältnisse: Sie prägen die gesellschaftlichen Naturverhältnisse, etwa die Verteilung von Wasser mittels Stauseen und Kanälen oder die Regelung des Zugangs zu Wasser in Gesetzen und Partizipationsprozessen. In diesem Zusammenhang nimmt Schmitt aber auch die Widerstandspraktiken gegen die hegemonialen Naturaneignung und ihre Durchsetzungspotentiale in den Blick.