262/263 | Brasilianische Ungleichheiten: Oben, Unten, Daneben
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Inhalt:
Editorial
Das Leben vor der Pandemie ist bei vielen schon fast in Vergessenheit geraten und ein Ende ist noch immer nicht in Sicht. Die Maßnahmen sind dementsprechend scharf, jedoch nicht für alle gleichermaßen, wie es scheint?
Während viele Menschen in Europa, zuletzt in Bukarest, gegen die nationalen Auflagen protestieren, sind die Straßen Brasiliens erfüllt mit lauten Forderungen nach mehr Schutz und Ernsthaftigkeit von der Regierung, was die Handhabung der Pandemie betrifft. Zwar sind Erfolge des Gesundheitssystems SUS anhand der hohen Impfquote zu erkennen – in der Millionenstadt São Paulo waren im September 99 Prozent der Erwachsenen bereits mindestens einmal geimpft – doch das Fehlen der Zweitdosen spiegelt die Pandemie‑Leugnung des Präsidenten Bolsonaro wider. Dieser verzögerte und behinderte so gut er konnte sowohl den Kauf als auch die Entwicklung von Impfstoffen. Ein Spiel mit der Gesundheit vieler Brasilianer*innen, welches bis dato fast 600.000 Menschen in Brasilien das Leben gekostet hat.
Denn auch die Konsequenzen der Pandemie treffen die Bevölkerung nicht gleichermaßen. In Brasilien sind davon insbesondere ohnehin schon vulnerable Gruppen betroffen, darunter viele Frauen, die Schwarze und Indigene Bevölkerung. Budgetkürzungen im Gesundheitswesen haben Brasilien unvorbereitet in diese extrem tödliche Corona‑Situation geworfen. Diese und weitere Katastrophen, wie beispielsweise der Brumadinho‑Dammbruch, sind nicht das Ergebnis von Falschkalkulationen oder Unfälle – sondern Verbrechen. Die Gegenbewegungen werten die Pandemie‑Leugnung der Regierung als aktiven Versuch zur Unterdrückung. Und man mag meinen, dass dieser Versuch – zumindest für einige Zeit – geglückt sei.
Doch die brasilianische Soli‑Arbeit hat sich organisiert und neue Wege geschaffen. Der Pandemie begegnet sie heute mit Adaptation und Resilienz, zum Beispiel durch alternative Produktvermarktung. Und auch die Straßen sind heute wieder gefüllt. Manchmal, so wie am diesjährigen Unabhängigkeitstag, mit Regierungsanhänger*innen. Meistens jedoch mit Regierungsgegner*innen, die nach wie vor und stärker als je fordern: #forabolsonaro.
Die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen in den Biomen Brasiliens stellt uns einerseits global vor klimatische Herausforderungen und ist andererseits auch mit einem Verbrechen an den indigenen Völkern verbunden. Daher werfen Autor*innen dieser Ausgabe auch einen Blick auf die massiven Rückschritte in der Gesetzgebung und den Regierungsmissbrauch an verfassungsrechtlich geschützten Territorien und Rechten Indigener. Paradoxerweise stillt der massive Sojaanbau, der unter anderem auf den geraubten Flächen betrieben wird, nicht den Hunger der Bevölkerung. Denn dieser ist im Zuge der Pandemie und verfehlter Regierungspolitik zurückgekehrt. Auch hier werden Soli‑Gruppen aktiv und versuchen mit Empathie und Kreativität, dort für Nahrungsmittel zu sorgen, wo die Regierung versagt hat.
In Zukunft sind wir gefragt, zu beobachten, wie sich die Situation in Brasilien entwickelt. Die Forderungen nach der Amtsenthebung dieses Präsidenten der Ungerechtigkeit werden national und international immer lauter. Nach dem Lärm der Proteste bleibt die Unsicherheit, ob die aktuelle Regierung Forderungen der Protestierenden aufnehmen wird und wie mit der Gefährdung der Demokratie umzugehen ist.
Die Redaktion