Informations- und Diskussionsveranstaltung
Mit: Paula Coradi (Partei PSOL, zuständig für Beziehungen zu den sozialen Bewegungen) und Israel Dutra (PSOL, zuständig für internationale Beziehungen)
Dienstag, 26. Februar 2019, 19 Uhr, im FDCL. Veranstaltung auf Portugiesisch mit Konsekutivverdolmetschung. Eintritt frei.
Seit dem 1. Januar ist Jair Bolsonaro, der Ex-Hauptmann, Fallschirmspringer und für nicht wenige deutlicher und de facto-erklärter Faschist, neuer Präsident Brasiliens. Schon während der Zeremonie der Amtseinführung haben bolsonaro-nahe Sicherheitskräfte im Kongress – unbefugt, aber ungehindert und bislang ungestraft – von mehreren Abgeordneten deren Büros aufgebrochen, offenkundig durchwühlt, – alles unter dem vorgeschobenen Vorwand, die Sicherheit des Präsidenten gegen Anschläge von Sniper aus den (linken) Abgeordnetenbüros schützen zu müssen. Bestrafung oder Rüge durch die Gremien und Instanzen des Kongresses? Fehlanzeige. Seit dem 2. Januar hagelt es vom neuen Präsidenten unterzeichnete Anordnungen, die den Indigenen die Landrechte streitig machen sollen, die die Indigenenbehörde FUNAI der erzreaktionären evangelikalen Ministerin für Frauen, Familien und Menschenrechte unterstellen und damit aushöhlen, die Zielgruppe LGTBQI* wird aus den Programmen des Menschenrechtsministeriums gestrichen, die Landlosenbewegung MST, die Obdachlosenbewegung MTST, die Indigenenmissionsbehörde CIMI und die katholische Landpastorale sollen möglichst bald kriminalisiert werden und als potentiell terroristische Organisationen gebrandmarkt werden, um diese damit an deren Arbeit zu hindern. Das Umweltministerium suspendierte per Eildekret vorläufig alle Zusammenarbeit mit den Umwelt-NGOs, das Justizministerium übernimmt die Kontrolle über die finanziellen Transaktionen (auch der NGOs), und ein General soll mit seinem Stab alle NGOs, sozialen Bewegungen und Organisationen im Lande monitorieren und überwachen. Und Jair Bolsonaro und seine Minister*innen werden nicht müde, die linke Opposition – sei es die PSOL oder die PT, seien es soziale Bewegungen – als politische Gegner zu diffamieren und wirft ihnen Terrorismus vor, weswegen er sie am liebsten verbieten lassen und die „Linken“ allesamt ins Gefängnis stecken würde.
Zugleich gibt es vor allem in Brasilien nicht wenige Stimmen, vor allem auffallend oft jene, die Bolsonaro ihre Stimme gegeben haben, dass sie seine martialischen Reden nicht so ernst nehmen, dass er sich halt als martialischer Maulheld habe darstellen müssen, um genug Aufmerksamkeit und eben so die Wahlen zu gewinnen. Was ihm zweifellos gelang. Es wäre wohl eines der wenigen Male, dass ein Politiker demnach von vielen dafür gewählt wurde, dass er später nicht das tut, was er angekündigt hat. Dieser Ansicht nach wäre er ein rechtsradikaler Maulheld, dessen spätere (Un-)Taten nicht das erschreckende Niveau erreichen würden.
Und wie sieht die Realität nun aus? Faschismus kommt in den seltensten Fällen von einem Tag auf den anderen. Es ist wichtig, die Zeichen früh zu erkennen, zu warnen und dagegen mit aller Entschlossenheit Widerstand zu leisten. Denn die ersten Zeichen sind da. Die Übergriffe im Land auf LGBTQI* steigen massiv an, deutlich steigende Feminizidraten wurden in den ersten Wochen nach Amtseinführung von Wissenschaftler*innen festgestellt, ein toxisch-männlicher Präsident setzt samt seinen erzreaktionären Ministern den Diskurs, den der Mob aufgreift und sich dadurch legitimiert fühlt. Indigene Territorien werden von illegalen Holzfällern überfallen, von Rinderbaronen und deren pistoleiros unter Beschuss (teilweise im wörtlichen Sinne) genommen, während Zeltlagerstätten auf umkämpften Land von Indigenen und Landlosen durch solche capangas und pistoleiros beschossen werden und Todesdrohungen gegen die Bewohner*innen ausgesprochen werden, nicht selten mit dem Namen „ihres Hauptmanns“ auf den Lippen. Vor wenigen Tagen wurden Presseberichte bekannt, nachdem in Rio de Janeiro von einem Turm auf Polizeigelände gezielt von (Polizei-)Scharfschützen auf Bewohner*innen der angrenzenden Favela geschossen wird – durch offenkundig extra dafür installierte Scharfschützendurchlässe im Turm. Und die Polizei, die – wie ebenfalls vor wenigen Tagen auf dem Morro Fallet, wo 13 Bewohner*innen von der Militärpolizei regelrecht exekutiert wurden und der Gouverneur dies hinterher mit dem Verweis, es seien doch Mitglieder krimineller Drogenbanden gewesen, gutgeheißen hat – wahllos in den Favelas tötet , wird dabei durch das neue Polizeigesetz Brasiliens vor Strafverfolgung geschützt. Reaktion von Gesellschaft und Staates? Weitgehendes symbolisches wie auch direktes und ungeschminktes Achselzucken. Aber es gibt Widerstand.
Gemeinam mit unseren beiden Gästen, Israel Dutra und Paula Coradi, werden wir uns diesem Panorama des Schreckens widmen und erfahren, wie wichtig es ist, Widerstand zu leisten, sei es als linke Partei, sei es zusammen mit den sozialen Bewegungen.