EU-Mercosur-Abkommen: Wie die Einigung auf den Vertragstext den Weg für weitere Verletzungen indigener Rechte freimacht

25 Jahre nach Aufnahme der Verhandlungen wurde am vergangenen Freitag in der uruguayischen Hauptstadt Montevideo verkündet: Es ist so weit, der Vertragstext des Abkommens zwischen den Mercosur-Staaten und der EU ist unterschriftsreif. Der durch seine Ratifizierung erwartbare Schaden für Indigene in Brasilien kündigt sich jetzt schon bitter an. Bleibt zu hoffen, dass die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten eine Ratifizierung am Ende verhindern.
| von Madalena Ramos Görne
EU-Mercosur-Abkommen: Wie die Einigung auf den Vertragstext den Weg für weitere Verletzungen indigener Rechte freimacht
Für die Gemeinden der Guarani-Kaiowá in Mato Grosso do Sul ist es keine Option, aufzuhören für ihr angestammtes Gebiet zu kämpfen. Die Gebetshäuser fungieren als Ort zur Ausübung ihrer Spiritualität und stellen gleichzeitig ein wichtiges Symbol ihres Widerstands dar. © Ramos Görne/ Misereor

Erstveröffentlichung im Misereor-Blog am 13.12.2024

Aachen / Campo Grande

Das unerträgliche Leid der Guarani-Kaiowá in Mato Grosso do Sul

Die Situation der Gemeinden der Guarani-Kaiowá in Mato Grosso do Sul ist nach wie vor sehr prekär. Immer wieder sind sie Angriffen von Großgrundbesitzern ausgesetzt, die die Indigenen als Hindernis für die Ausweitung ihrer agroindustriellen Flächen und letztlich ihr Profitbestreben betrachten. Es häufen sich die Fälle, in denen die Gebetshäuser der Guarani-Kaiowá angegriffen oder niedergebrannt werden, was sich besonders negativ auf den Zusammenhalt der Gemeinden auswirken kann. Schließlich dienen die Gebetshäuser nicht nur der Ausübung indigener Spiritualität, sondern fungieren auch als Versammlungsorte und entscheidungspolitische Räume. Die Bedrohungssituation ist so extrem, dass sie einen der zuständigen Staatsanwälte des Bundesstaates dazu veranlasste, die Region als „Gazastreifen Brasiliens“ zu bezeichnen.

Der aktuelle Gouverneur, Eduardo Riedel, war selbst lange Vorsitzender einer Agrobusiness-Gewerkschaft und auch auf Ebene der Richter*innen lassen sich reichliche persönliche Verbindungen zu diesem Wirtschaftssektor ausmachen. Die Ernährungssituation vieler Gemeinden der Guarani-Kaiowá ist dramatisch, wie einige Studien es bereits ausführlich belegt haben. Sie hängen oftmals von Lebensmittelkörben ab, die von der FUNAI verteilt werden, aber nicht ausreichen, um deren realen Bedarfe zu decken.

 

Wie die EU die von ihr hochgehaltenen Menschenrechte aushöhlt

Weiter verschärfen könnte sich die Situation der Guarani-Kaiowá durch das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und den Mercosur, dessen Verhandlungen nun seit letztem Freitag und nach einem Vierteljahrhundert kontroverser Auseinandersetzungen als endgültig abgeschlossen gelten. Die mit dem Abkommen verbundenen menschenrechtlichen und ökologischen Risiken wurden vielfach dokumentiert (siehe unten angeführte Literaturhinweise) und in einer kürzlich von 395 lateinamerikanischen und europäischen Gewerkschaften, Umwelt-, Entwicklungs-, Menschenrechts-, Indigenen- und Bauernorganisationen gemeinsam veröffentlichten Erklärung erneut angeprangert.

Als wären die Angriffe durch Großgrundbesitzer*innen, denen die Guarani-Kaiowá seit Jahrzehnten ausgesetzt sind, nicht qualvoll genug, schafft das Abkommen weitere Anreize für die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen. Indem es z.B. zollbegünstigten Quoten für den Export von Bio-Ethanol vorsieht, trägt es zur Verschärfung von Landkonflikten in Mato Grosso do Sul bei. Die Bio-Ethanolquote von insgesamt 650.000 Tonnen bedeutet eine Versechsfachung gegenüber bisherigen Importmengen aus dem Mercosur. Somit wird die Expansion des Anbaus von Zuckerrohr – der zentrale Rohstoff für die Bio-Ethanolerzeugung in Brasilien – angetrieben. Dass Zuckerrohr zu jenen Kulturen gehört, die Indigene auf besonders offensive Weise in diesem Bundesstaat verdrängen, nimmt die EU offenbar in Kauf. Das in dem Abkommen enthaltene Nachhaltigkeitskapitel wird dies jedenfalls nicht verhindern. Als einziges Kapitel unterliegt es nicht dem Sanktionsmechanismus des Abkommens.

 

Ob das Abkommen tatsächlich unterzeichnet und ratifiziert wird, ist indes noch ungewiss. Selbst wenn die Kommission und Bundeskanzler Olaf Scholz sich mit ihrem Vorhaben durchsetzen, den Handelsteil von dem Kooperationsteil (inklusive der Menschenrechtsklausel) abzuspalten und vorzeitig zu ratifizieren, wäre zur Verabschiedung im EU-Rat eine qualifizierte Mehrheit erforderlich. Nachdem Frankreich, Polen, Italien, die Niederlande und Belgien erklärt haben, das Abkommen in der bisherigen Form nicht mittragen zu können, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Eine Entscheidung im Rat ist erst Mitte 2025 zu erwarten.

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In Mato Grosso do Sul häufen sich die Fälle von indigenen Gebetshäusern, die von Großgrundbesitzern niedergebrannt werden. © Ramos Görne/ Misereor

INFOKASTEN

 

Die Arbeit von CIMI und CPT

CIMI ist die Fachstelle der brasilianischen Bischofskonferenz (CNBB) für indigene Fragen. Zu den vielfältigen Wirkungslinien CIMIs gehören u. a. Rechtsberatung, Begleitung von laufenden Demarkierungsprozessen, Unterstützung von indigenen Mobilisierungsaktionen, Sichtbarmachung der Situation Indigener über Öffentlichkeitsarbeit sowie Beratung bei der Landnutzung. Von besonderer Bedeutung ist der jährlich von CIMI herausgebrachte Bericht „Gewalt gegen die Indigenen Völker Brasiliens“, dessen Zusammenfassung auch auf Deutsch erscheint.

 

Die CPT ist die kirchliche Fachstelle für Landfragen und unterstützt die brasilianische Landbevölkerung, darunter u. a. Agrarreformsiedler*innen, Kleibäuerinnen, Mitglieder indigener und traditioneller Gemeinden bezüglich der Themen der territorialen Rechtssicherheit und Ernährungssouveränität. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt der CPT seit ihrem Gründungsmoment ist die Prävention und Bekämpfung sklavenähnlicher Arbeitsbeziehungen. Der jährlich von ihr herausgebrachte Bericht über die Landkonflikte in Brasilien – inkl. deutscher Zusammenfassung – wird als Referenzdokument in nationalen und internationalen Lobbyprozessen genutzt.

 

Autor*innen:

  • Matias Benno Rempel und Klenner Antonio da Silva – Regionalstelle von CIMI in Mato Grosso do Sul
  • Rosani Santiago und Valdevino Santiago – Regionalstelle der CPT in Mato Grosso do Sul
  • Madalena Ramos Görne – Projektreferentin für Brasilien bei Misereor e.V.
  • Armin Paasch – Referent für Wirtschaft und Menschenrechte bei Misereor e.V.

 

Weiterführende Informationen:

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Banner in der Guarani-Kaiowá-Gemeinde Yvyrapykue: „Traditionelle Nachhaltigkeit. Das Erbe der Vorfahren und Ahnen ist das Heilmittel für unsere Mutter Erde. Wir werden zeigen, wie eine bessere Zukunft geht für unser Volk der Guarani-Kaiowá. Das ist der Anfang unserer Initiativen der biologischen Landwirtschaft und Erhalt unserer Kultur.“ © Ramos Görne/ Misereor