Die Genehmigung von Belo Monte und ihre Folgen
Zur Erinnerung: Es geht um die Zwangsumsiedlung von mindestens 20.000 Personen, darunter viele Indigene. Über 500 km² intakter Regenwald sollen überflutet werden, um später ca. 11.000 MW Strom pro Jahr zu produzieren, eine Zahl die wegen der Wasserstandsschwankungen des Rio Xingu im Jahreslauf als unhaltbar hoch anzusehen ist.
Der Bischof von Xingu Erwin Kräutler hat sich zu einem prominenten Fürsprecher der betroffenen Indigenen gemacht. Er sagte, Präsident Lula ginge als großer Zerstörer Amazoniens und als Totengräber der Indios in die Geschichte ein, sollte der Bau des drittgrößten Wasserkraftwerks der Welt nicht noch gestoppt werden. Sein Name wurde inzwischen im Zusammenhang mit dem Alternativen Nobelpreis genannt, für den die Nationale brasilianische Bischofskonferenz CNBB ihn vorschlagen will. Mit Unterstützung der CNBB fordert Kräutler erneut, die unbehinderte Anhörung der Betroffenen, ohne Einschüchterung durch ein Militär, das „für Ordnung sorgt“. Seine Forderung umfasst 27 weitere Anhörungen in den Gemeinden Vitória do Xingu, Senador José Porfírio, Anapu und Porto de Moz und an der großen Flussschleife des Xingu (volta grande do Xingu), jeweils vor Ort, wo die Betroffenen leben.
Mehr als 25 indigene Gruppen leben in der betroffenen Region, besonders die Kayapó sind in ihrem Widerstand kämpferisch: 4000 Indios aus 9 Siedlungen wollen bewaffnet Widerstand leisten.
Die Baugenehmigung war politisch forciert worden, trotz ökologischer und sozialer Missbilligung durch Experten und wissenschaftliche Gutachten. Umwelt- und Tropenwaldzerstörung (z.B. durch Tausende Kilometer von Starkstromleitungen quer durch bisher noch intakte Regenwaldgebiete, Hunderte von Kilometern von Straßen für die schweren Baufahrzeuge und die Errichtung von Siedlungen für mehrere tausend Arbeiter) werden genauso billigend in Kauf genommen wie die menschliche Tragödie der Betroffenen. (für die kritisierten Details siehe Tropenwald-Bericht vom November 2009).
Begriffe wie Vetternwirtschaft und Lobbyismus drängen sich auf, wenn ein Mitarbeiter vom Ostamazonischen Forum sagt:»Das Umweltgutachten haben Unternehmen erstellt, die selbst Interesse am Bau von Belo Monte haben, keine unabhängige Kommission.“ Der Umweltbehörde IBAMA verblieb lediglich die Aufgabe, dieses in kurzer Zeit am Schreibtisch zu prüfen, was nach Meinung des Wissenschaftlers der Universität Campinas, Oswaldo Sevá, schon aufgrund des Personalmangels der Behörde nicht ausreichend möglich gewesen sei.
Der Zeitpunkt für die Genehmigung war exakt gewählt, umschifft er doch gerade noch eine Ausschreibungssperre, die wegen der im Oktober stattfindenden Präsidentschaftswahlen kurz später gegriffen hätte. So wird das Projekt den ausführenden Baufirmen ab 18. April zur Ausschreibung/Bebietung angeboten werden und es wird immer schwieriger, das rollende Rad noch anzuhalten.
Mit Erteilung der Baulizenz seien 40 Auflagen zu erfüllen, so die IBAMA, u.a. seien rund 570 Mio. € zusätzlich für Umweltschutz und soziale Projekte aufzubringen. Erfahrungen bei Projekten ähnlicher Dimension (z.B. in der Türkei am Ilisu – Staudamm) zeigen jedoch, dass solche Alibiversprechungen hinterher oft nicht eingehalten werden.
Die Staatsanwaltschaft in Belem/Pará kündigte Einspruch gegen die Baugenehmigung an, damit wäre das die achte Klage der Staatsanwaltschaft seit 2001 gegen das Staudammprojekt. Gleichzeitig bekommt das Projekt sogar von juristischer Seite Unterstützung. Ende Februar verabschiedete die Anwaltskammer Brasiliens – Sektion Pará (OAB-Pará) in Belém eine Unterstützungserklärung für den Bau des Wasserkraftwerkes Belo Monte und forderte, dass 25 % der Energie im Bundesstaat Pará bleiben und die 40 Bedingungen eingehalten werden müssen. Dagegen haben sowohl die CNBB als auch Träger des Preises für Menschenrechte José Carlos Castros öffentlich aufbegehrt. Die brasilianische Justiz scheint es der Politik hier recht machen zu wollen, was nicht ihre Aufgabe ist.
Wie zum Hohn verkauft die brasilianische Regierung der Öffentlichkeit das Projekt Belo Monte als Teil ihrer Klimaschutzpolitik und will sich weiter als „grüne Macht unter den Schwellenländern“ einen Namen machen. Auch die expandierende Wirtschaft des Landes wolle mit Strom versorgt sein. An dieser Stelle führt Brasilien gerne an, 50% seiner Energie stamme aus erneuerbaren Quellen. Die schlechte Klimabilanz von Staudämmen in tropischen Gegenden wird dabei außer acht gelassen. Der Klimaforscher Philip Fearnside vom Inpa-Forschungsinstitut in Manaus fand heraus, dass zwei Staudämme am Amazonas-Zulauf zehn Jahre nach ihrer Flutung mehr Treibhausgase (in diesem Fall besonders Methan) produzieren als der Großraum Sao Paulo mit seinen 20 Mio. Einwohnern. Durch diesen Staudammbau entsteht am Xingu in Amazonien ein dauerhaftes Klimaproblem: Weitreichende Entwaldung (die ja Kohlenstoff freisetzt) und Treibhausgasausstoß durch das gestaute Wasser. Ganz zu schweigen von der drohenden Austrocknung der großen Flussschleife des Xingu mit allen ökologischen Folgen. Präsident Lula und seine Berater scheinen nicht Willens oder in der Lage, die derzeitige Klimaschutzpolitik im Fall Belo Monte zu Ende zu denken.
Die Ex-Umweltministerin und Präsidentschaftskandidatin der Grünen Partei Marina Silva kritisiert das Fehlen einer umfassenden Regionalplanung bei einem Unterfangen mit solchen Auswirkungen auf die Umwelt. Die Lösung könne nicht einfach einem Unternehmen überlassen werden, das lediglich Energie erzeugen wolle.
Die Baukosten sind auf acht (offiziell benannt durch die brasilianische Regierung) bis zwölf Milliarden Euro veranschlagt und kommen zum größten Teil von der staatlichen Entwicklungsbank BNDES. Geplant ist, dass ab 2015 durch Belo Monte elf Prozent des brasilianischen Strombedarfs gedeckt werden sollen.
Als Aspiranten auf das Megaprojekt, dem womöglich weitere Staudämme folgen müssen, um die Rentabilität des ganzen zu gewährleisten, stehen auf brasilianischer Seite die Bauriesen Odebrecht und Camargo Corrêa bereit, die mit einem Konsortium antreten wollen. Zufällig sind sie einer der größten Sponsoren von Lulas Arbeiterpartei. Auf europäischer Seite wollen sich mehrere Firmen, die schon Erfahrung im brasilianischen Staudammbau haben um das lukrative Geschäft bewerben. Das französisch-belgische Energieunternehmen GDF Suez ist bereits beim Jirau-Staudamm am Rio Madeira tätig (siehe Aktionen Deutsche NRO). Nach österreichischen Presseberichten wollen neben Siemens der steirische Maschinenbauer Andritz AG als auch die deutsche Voith Hydro aus Heidenheim ein Gebot abgeben. Die Andritz AG, gegen deren Beteiligung Alexander van der Bellen von den österreichischen Grünen bereits öffentlich Protest angemeldet hat, konnte mit der bloßen Ankündigung der Bewerbung ihren Stand an der Börse deutlich verbessern. Die Voith AG lieferte die elektromechanische Ausstattung für das Wasserkraftwerk Baguari 600 km nördlich von Rio de Janeiro, das im Oktober 2009 als erstes PAC-Staudammprojekt eröffnet wurde. Eine Entscheidung wird bis Ende April erwartet.
Im Europäischen Parlament wurden Ende Februar und Anfang März zwei Anfragen von den französischen Grünen eingebracht. Catherine Greze und Ulrike Lunacek fragen die Europäische Kommission und den Rat detailliert nach ökologischen und sozialen Risiken des Mega-Staudammprojekts Belo Monte.
http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=WQ&reference=P-2010-0982&format=XML&language=DE
http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+WQ+E-2010-1242+0+DOC+XML+V0//DE&language=DE
Bleibt die Hoffnung, dass bei Belo Monte das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Dass trotz des autoritären Verhaltens der Regierung die nationalen und internationalen Bewegungen ihre Anstrengungen und ihren Kampf fortsetzen und den zerstörerischen Gigantismus doch noch bremsen können.
In kurzer Zeit hatte sich internationaler Widerstand formiert. So ging am 11.3. ein Protestbrief an Präsident Lula, den 140 internationale Organisationen (u.a. Amazon Watch, International Rivers, Movimento Xingu Vivo Para Sempre, Greenpeace, Amnesty International, Gesellschaft für bedrohte Völker, KoBra und 40 internationale Indigenengruppen) unterzeichneten. http://www.internationalrivers.org/en/node/5160
Als Zeichen des ungebrochenen Widerstands gegen Belo Monte wurde bei einem Treffen von 31 Organisationen im März 2010 die Asche des im Dezember verstorbenen Umweltaktivisten von International Rivers Glenn Switkes in das Wasser der Volta Grande do Xingu (Große Flussschleife) gestreut. Glenn Switkes hatte über 30 Jahre für die Flüsse in Amazonien und gegen Megaprojekte wie Belo Monte gekämpft und war an einem Krebsleiden gestorben.