Thyssenkrupp-Stahlwerk in Rio erhält 90 Tage Verlängerung
Nur wenige Tage nach der Bekanntgabe, dass Thyssenkrupp den 27%-Anteil von Vale an dem Stahlwerk von Thyssenkrupp in Rio de Janeiro, TKCSA, übernimmt zum symbolischen Preis von 1 US-$ sowie der Übernahme durch Vale von 10% der 2,6 Milliarden Euro, die als Schuldtitel noch auf dem Stahlwerk liegen, haben die Behörden in Rio de Janeiro bekanntgegeben, dass das Stahlwerk TKCSA trotz der noch immer nicht zu hundert Prozent erfüllten Auflagen eine Ausnahmegenehmigung für den Zeitraum von 90 Tagen bekommt, um die verbleibenden Auflagen umzusetzen. Am 16. April 2016 liefe der bereits an die gesetzliche Maximalfrist von 48 Monaten angepasste sogenannte TAC-Vertrag über die Anpassung der Produktionsvorgänge im größten Stahlwerk Lateinamerika aus. Eine Verlängerung einer solchen behelfsmäßigen Betriebsgenehmigung, wie sie der TAC-Vertrag darstellt, ist im Gesetz nicht vorgesehen. Daher griffen die Behörden in Rio de Janeiro zum Mittel der sogenannten Betriebsumweltgenehmigung Autorização Ambiental de Funcionamento (AAF). Diese sieht einen Maximalrahmen von 90 Tagen vor. Thyssenkrupp habe bisher 95% der Auflagen umgesetzt, hieß es. Die verbleibenden 5% sollten also in den kommenden 90 Tagen erfolgen. Kritiker wie die Organisation PACS aus Rio und die Anwohner/innen und Fischer/innen haben auf einer Veranstaltung in Rio am 7. April daher gefragt, wer denn daran glaube, dass Thyssenkrupp in 90 Tagen das umsetze, was sie in den sechs Betriebsjahren seit Juni 2010 nicht geschafft hätten. Die Anwohner/innen berichten zudem über anhaltende Staubbelastungen in ihren Wohnungen und Häuser, und die Fischer/innen beklagen weiterhin anhaltend starke Verluste beim Fischfang. Die Situation der Kleinfischer vom Kanal São Franciso, der das Betriebsgelände der TKCSA an dessen Westseite begrenzt, habe sich vielmehr in den vergangenen Monaten noch weiter verschlechtert. Denn angesichts der Wasserkrisen im Südosten Brasilien sei der Wasserstand im Kanal so stark gesunken, dass vom Meer vermehrt Salzwasser in den Kanal eingedrungen sei, was Thyssenkrupp - laut eigener Aussage auf der Aktionärsversammlung und im Jahresbericht 2015 - dazu veranlasst habe, eine Staumauer im Kanal mit einer kleinen "Durchfahrt für die Fischer" zu errichten, um das Süßwasser zurückzuhalten und die Wasserentnahme einige Kilometer fluss aufwärts verlegt zu haben. Thyssenkrupp sprach auf der Aktionärsversammlung von der Wasserkrise als einer der größten Bedrohungen für die Versorgungssicherheit des Werks. Die Fischer aber beklagen, dass die Strömung bei der von Thyssenkrupp als Duchfahrt bezeichneten Stelle des Damms viel zu stark sei. KoBra war vorgestern vor Ort und hat sich diese bei Ebbe angesehen. Die Durchfahrt dort ist für Boote unmöglich, zu reißend ist die Strömung. Dies hat aber auch Thyssenkrupp, dem gesunden Menschenverstand folgend, eingesehen, und hat dort einen Kran installiert, der die Fischerboote über die Stromschnelle heben soll. Viele der Kleinfischer berichten aber, dass durch das Ausdemwasserheben sich ihre Bottsrümpfe verziehen würden und eine reale Gefahr der Brechens der Boote gegeben sei. Daher passieren nun viele der Kleinfischer diesen Kanal derzeit gar nicht mehr, aber da die wenigen verbliebenden Fische unterhalb des Damms sind, sind die Kleinfischer vom Canal São Franciso von ihren Fischen nunmehr komplett abgeschnitten. Die Klagen der 5.763 Fischer gehen derweil weiter, ebenso wie die Zivil- und Strafverfahren gegen Thyssenkrupp. Auch die mehreren hundert Strafverfahren der Anwohner/innen gegen TKCSA wegen Gesundheitsgefährdung durch das Stahlwerks werden von der Defensoria Pública weiter verfolgt. So sieht es nach wie vor nicht danach aus, dass es Thyssenkrupp leicht fallen wird, den lang ersehnten Käufer zu finden, der das mittlerweile mit summierten Verlusten von 12 Milliarden Euro ziemlich teure Stahlwerk übernehmen wird, denn der Käufer erbt auch die Rechtsstreitigkeiten - mit Ausnahme der noch anhängigen Stafverfahren gegen Manager wegen Umweltverschmutzung: den drei Beschuldigten, darunter ein deutscher Staatsbürger, drohen bei Verurteilung bis zu neunzehn Jahre Haft.