Heineken-Bierfabrik bedroht Grundwasser und „Luzia“
Erst vor wenigen Monaten war der niederländisch-multinationale Konzern Heineken in Brasilien negativ in die Schlagzeilen wegen des Vorwurfs der Privatisierung von öffentlichen Ländereien in Amazonien im Rahmen des von der Bolsonaro-Regierung lancierten Programmes “Adote um Parque” geraten, nun trifft die Kritik von Umweltschützer:innen die Firma wegen der geplanten Errichtung einer Bierfabrik in der Gemeinde Pedro Leopoldo inmitten des Naturschutzgebiets Carste da Lagoa Santa, im Karstgebiet nördlich der Metropolregion Belo Horizonte. Auch Archäolog:innen protestieren, denn der geplante Bau der Fabrikanlage für die Bierbrauerei liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu den historischen archäologischen Fundorten von "Luzia", Amerikas ältestem bekannten menschlichen Skelett, und bedroht die historisch-archäologische Stätte der Grotten des Karstgebietes.
Heineken beabsichtigt, an dem Standort 760 Millionen Liter Bier pro Jahr zu produzieren. Eine der Quellen zur Wassergewinnung für die Bierherstellung ist unterirdisch und hat ein Volumen von 310 m³ pro Stunde, was ausreichen würde, um eine Stadt mit etwa 37.000 Einwohner:innen mit Trinkwasser zu versorgen. Bewohner:innen und Umweltschützer:innen sind deshalb sehr um die Wasserversorgung der Region besorgt.
Das zuständige Team des Chico-Mendes-Instituts für die Erhaltung der biologischen Vielfalt in Minas Gerais (ICMBio-MG) sieht in diesem Vorhaben ebenfalls drohende Risiken für den sensiblen Wasserhaushalt der Region und wies darauf hin, dass der Standort nach wie vor ein hohes geologisches Risiko berge und daher unter Umweltgesichtspunkten, insbesondere in Bezug auf Wasser und Kulturerbe, nicht genehmigungsfähig sei. So erhob die ICMBio im September 2021 ein Embargo gegen das Projekt.
Die ICMBio stellte fest, dass das Unternehmen nicht genügend Studien vorgelegt habe, die Aufschluss darüber geben würden, wie sich Bau und Betrieb der Brauerei auf die Dynamik des Wasserabflusses und die Karst-Ökosysteme auswirken werden. Die Entnahme von Wasser aus dem Untergrund könnte daher schädliche Folgen für die Umwelt in der Region haben, so ICMBio. Denn die infolge des Fabrikbaus und dessen Betriebs sich möglicherweise einstellende Absenkung des Grundwasserspiegels bedeute das Verschwinden einiger Lagunen in der Region und die Gemeinden Pedro Leopoldo, Confins, Lagoa Santa und Matozinhos könnten von einer drastischen Wasserknappheit betroffen werden, so ICMBio im September dieses Jahres. In Bezug auf die historischen Höhlen der Region äußerte sich die ICMBio ebenfalls deutlich besorgt: Die Höhle Lapa Vermelha IV, in der "Luzias" Schädel gefunden wurde, könnte durch die künftige Fabrik schwer beeinträchtigt werden, so die Inspektor:innen. Die Bundes-Agentur stufte die Erteilung der Umweltlizenz durch die Regierung von Minas Gerais als "schweren Fehler" ein, wie die Investigativ-Journalist:innen von Repórter Brasil berichteten.
Repórter Brasil bat die Firma Heineken zweimal um eine Stellungnahme. In der ersten Antwort vom 10. September teilte das Unternehmen mit, dass es alle Dokumente, Daten und technischen Studien zur Erlangung der Umweltlizenz vorgelegt habe und dass es sich bewusst sei, dass die Lizenz dem normalen Verfahren folge. In der zweiten Antwort vom 15. September, nachdem der Bau der Fabrik gestoppt wurde und das Unternehmen zwei Bußgelder von ICMBio erhalten hatte, erklärte das Unternehmen, dass es die Erdbewegungsarbeiten aufgrund der Maßnahmen der Inspektor:innen eingestellt habe. Die Firma betonte auch, dass sie den beteiligten Stellen zur Verfügung stehe und betonte, dass "es sein großes Engagement für den Schutz der Umwelt und die geltenden Umweltvorschriften bekräftigt".
Anfang Oktober schob ein Bundesgerichtsurteil die hydrologischen, sozialen und kulturbewahrenden archäologischen Bedenken der ICMBio weg und hob das von ICMBio verordnete Embargo des Bauvorhabens wieder auf.
Nun melden sich aber verstärkt die Archäolog:innen zu Worte, denn die Bedeutung der Region für die Geschichte der Menschheit sei seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weltweit bekannt, als der Däne Peter Lund Hunderte von Höhlen in der Region von Lagoa Santa erforschte und dort Fossilien von Megafauna und Menschen fand. Seine Entdeckungen zogen im folgenden Jahrhundert internationale und nationale Wissenschaftler:innen-Teams in die Region Lagoa Santa, darunter die französisch-brasilianische Mission, die von dem Archäologen A. Laming-Emperaire, der Ausgrabungen in der Lapa Vermelha durchführte, als er 1975 die Knochen einer jungen Frau fand, die später unter dem Namen "Luzia" bekannt wurde und zahlreiche Thesen und Forschungen zu diesem Thema auslöste und die als das älteste bisher bekannte Skelett Amerikas gilt. Die kleine Gemeinde Pedro Leopoldo erlangte so den internationalen Ruf, das "Land der Luzia" zu sein.
Das Umweltschutzgebiet Carste de Lagoa Santa wurde 1990 eingeführt, als der Verwaltungsplan und die Umweltzonen festgelegt wurden, um die empfindlichen unterirdischen Systeme, die Grundwasserleiter, die Höhlen sowie das große paläontologische und archäologische Erbe mit seiner biologischen Vielfalt zu schützen und die wichtigen Höhlen und archäologischen Stätten zu bewahren.
Das Gebiet gilt, so die Argumentation der Archäolog:innen, aufgrund all dieser Merkmale von der brasilianischen Kommission für geologische und paläobiologische Stätten als archäologisches Gebiet von internationaler Bedeutung. Die Archäolog:innen argumentieren zudem, dass die 1988 erlassene Bundesverfassung in den Artikeln 20 und 216 festlegt, dass die Güter materieller und immaterieller Art, einschließlich der archäologischen Stätten und der natürlichen unterirdischen Hohlräume, zum Vermögen des Bundes gehören, und von daher die historischen, archäologischen Stätten durch Bundesgesetz geschützt seien. Die Internationale Charta von Lausanne zur Pflege des archäologischen Erbes, die Brasilien unterzeichnet hat, betont, dass das archäologische Erbe eine zerbrechliche und nicht erneuerbare Ressource ist, die nicht veräußerbar sei, da es sich um ein Erbe von diffuser Qualität und generationsübergreifendem Interesse handelt, so die Argumentation der brasilianischen Archäolog:innen.
Doch der Konflikt hat laut Medienberichten noch eine weitere Dimension: Anwohner:innen, die sich Arbeitsplätze von der Bierfabrik versprechen und für den Bau der Fabrik mobilisieren. Bleibt abzuwarten, wer in dem Konflikt obsiegen wird: Das Bier und erhoffte Arbeitsplätze oder Luzia und das Grundwasser. Klar ist auf jeden Fall, auf welchen Seiten die Regierenden, sei in Brasília, in Minas Gerais oder im Senat stehen. Denn wie bei so vielen Konflikten um „entwicklungsfördernde“ Großprojekte stehen Regierende in Brasilien gerne auf Seiten der sogenannten „Flexibilisierer“, denen das in Brasilien üblicherweise vorgeschriebene dreistufige Umweltgenehmigungsverfahren ein Dorn im Auge ist. Das bisherige dreistufige Umweltgenehmigungsverfahren aus vorläufiger Lizenz ("licença prévia"), Niederlassungslizenz ("licença de instalação") und Betriebsgenehmigung ("licença de operação") soll laut diverser erklärter wirtschaftsfreundlicher Politinteressen "reformiert", besser: abgeschafft werden. Dazu sollen die Genehmigungen zusammengefasst werden, als Allheilmittel zur beschleunigten und "ent-bürokratisierten" Genehmigung soll eine einzige Genehmigung, die "licença única", alles richten.
Und hier beim Fall „Heineken versus Luzia“ zeigt sich die ganze Gefahr einer solchen "flexibilisierten", also enthöhlten Umweltgenehmigung. Professorin Andréa Zhouri von der Bundesuniversität Minas Gerais in Belo Horizonte bewertet den Fall "Heineken versus Luzia" im Gespräch mit KoBra wie folgt: "Dies ist ein typisches Beispiel dafür, wie sie in Brasilien mit Umweltgenehmigungen verfahren wollen. Minas Gerais hat bereits mit dieser "vereinfachten" Lizenzierung begonnen, und der Bundessenat steht kurz vor der Verabschiedung des neuen allgemeinen Gesetzes über Umweltlizenzen, das für ganz Brasilien in die gleiche Richtung geht." Luzia und vielen weiteren droht Ungemach.