Marco Temporal: Die Neobandeirantes und das Massaker an den brasilianischen indigenen Völkern
Im Juni 2023 wurde am Obersten Gerichtshof (STF) das Verfahren um den sogenannten "Marco Temporal", also eine Stichtagsregelung, wieder aufgenomen. Es handelt sich um eine These, die das in der Verfassung niedergeschriebene Recht der indigenen Völker auf ihre traditionellen Territorien auf die Fälle begrenzt, wo nachgewiesen werden kann, dass das respektive Volk sich zum 05. Oktober 1988 (Tag der Verkündigung der heutigen brasilianischen Verfassung) im Territorium befunden hat bzw sich in einem Rechtsstreit darüber befand. Konkret hat der STF über den Fall des Landstreits um das indigene Territorium Ibirama La Klãnõ im Bundesstaat Santa Catarina geurteilt. Doch wurde schon verkündigt, dass dieser Fall richtungsweisend für alle zukünftigen Urteile sein wird. Ein Urteil pro Marco Temporal würde die jahrhundertelange Verfolgung und Vertreibung der indigenen Völker in der Kolonialzeit, aber auch besonders während der Militärdiktatur, legalisieren. In der Praxis würden keine neuen Territorien mehr ausgewiesen, wobei sich noch hunderte indigene Völker in dem Prozess befinden, ihre Länder anerkannt zu bekommen.
Gleichzeitig wurde im Kongress bereits das Gesetzesvorhaben "PL 490", welches die Stichtagsregelung im Gesetz verankern würde, angenommen. Dieses geht jedoch noch weiter als die These, über die im STF verhandelt wird. Zum Beispiel würde das Gesetz ganz klar Bergbauaktivitäten und industrielle Großprojekte in indigenen Territorien legalisieren. Auch sieht es vor, einen der Grundpfeiler der Indigenenpolitik des Landes zu brechen, indem es die Kontaktaufnahme zu in freiwilliger Isolation lebenden Völker fördert. Sollte der STF jedoch gegen die Marco Temporal Regelung stimmen, würde sich dieser Gesetzesentwurf, der aktuell noch vom Senat gebilligt werden muss, als verfassungsunrechtlich herausstellen.
In diesem KoBrinar hat uns Maria Leusa Munduruku erklärt, welche Folgen die Legalisierung der Stichtagsregelung sowie das PL490 für die indigenen Völker Brasiliens sowie für den Planeten haben würde.
Foto: Marquinho Mota
Kabaiw'un Kabá Munduruku, oder Maria Leusa Kabá Munduruku, ist die wichtigste politische Anführerin des Volkes der Munduruku am oberen Tapajós. Leusa, wie sie besser bekannt ist, koordiniert derzeit die Munduruku-Frauenvereinigung Wako Borūn, die für die Erhaltung des Territoriums ihres Volkes und für die Bewahrung seiner Lebensweise kämpft. Sie kämpft gegen den illegalen Bergbau und andere Eindringlinge in das Gebiet. Deshalb ist auf sie ein Kopfgeld ausgesetzt, und ihr Dorf wurde bereits von Bergleuten niedergebrannt.
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