Und der Fall Dorothy?
Zur Erinnerung: Der brutale Auftragsmord an Dorothy Stang am 12. Februar 2005 hatte national wie international viel Aufmerksamkeit und Entrüstung hervorgerufen. Die Ordensschwester aus den USA war knapp 40 Jahre im Amazonasgebiet aktiv und engagierte sich für eine nachhaltige Entwicklung und die Rechte der Landlosen. Unerschrocken hatte sie immer wieder die lokalen Großgrundbesitzer herausgefordert und wegen Sklaverei, illegalem Holzschlag und anderen Verstößen gegen die Menschenrechte angezeigt.
Bereits im Dezember 2005 waren die beiden Auftragsmörder in einem ungewöhnlich schnellen Prozess zu 17 und 27 Jahren Haft verurteilt worden. Auch ein Mittelsmann und zwei weitere Großgrundbesitzer kamen in Untersuchungshaft. Dies schürte die Hoffnung die weitgehende Straflosigkeit auf Seiten der Großgrundbesitzer und ihrer Schergen, eines der Hauptprobleme des Landkonfliktes in Pará, endlich zu beenden. Offen blieb, ob es gelingen würde auch den Auftraggebern den Prozess zu machen.
„Hast du den Mut Dorothy umzubringen? Wenn du ihn hast, hat Bida 50 tausend Reais.“ (Tato)
Am 24. April dann eine weitere Erfolgsmeldung. Der Mittelsmann „Tato“ wurde zu 18 Jahren Haft verurteilt. Dem war ein langes juristischen Verwirrspiel vorausgegangen. So gab es widersprüchliche Aussagen über die Anzahl der Auftraggeber - „Tato“ stellte sich zeitweise als alleiniger Auftraggeber dar, die versprochene Summe schwankte zwischen 20.- und 20 000.- Euro. Der Prozess wurde auf jegliche Art und Weise hinausgezögert. Letztendlich bekam er Haftmilderung aufgrund seines Geständnisses und insbesondere wegen seiner abschließenden Aussage, welche die beide verdächtigen Großgrundbesitzer schwer belastet.
Noch in derselben Woche, entschied das Landesgericht von Pará, dass einer der Auftraggeber, Regivaldo Pereira Galvão („Taradão“), sich vor einem Geschworenengericht zu verantworten habe. Dazu hieß es: „Wenn es widersprüchliche Zeugenaussagen gibt, obliegt es der Verantwortung der Geschworenen darüber zu richten“. Damit begann ein neuer juristischer Reigen.
„Solange wir dieser Frau kein Ende bereiten, werden wir nicht unsere Ruhe auf dieser Erde haben.“ (Taradão)
Am Donnerstag, dem 29. Juli kam nun der erste Rückschlag. Das brasilianische Äquivalent des Bundesverfassungsgerichts entschied in erster Instanz, entgegen allen vorangegangenen Urteilen, „Taradão“ aus der Untersuchungshaft zu entlassen.
Das Gericht bezeichnete seine Haft als unrechtmäßig und stützte sich dabei auf eines der vielen widersprüchlichen Geständnisse des Mittelsmannes „Tato“ in welchem er diesen entlastet hatte. Zudem hieß es in der Verlautbahrung des Gerichtes, dass dieser nur aus Rache eingesperrt war. Auch der andere Großgrundbesitzer „Bida“ fordert nun freigelassen zu werden.
Der Staat Pará hat einen gewissen Ruhm was die Straflosigkeit für Verbrechen auf dem Land anbelangt. Von den 774 Morden, welche es in Landkonflikten in den letzten 35 Jahren in Pará gab, kam es kaum zu Ermittlungen geschweige denn zur Anklage. Kein einziger Mandant wurde für seine Verbrechen bestraft. Der Fall Dorothy sollte in dieses Hinsicht ein Präzedenzfall werden.
Ironischerweise verlief der Prozess im Fall Dorothy deshalb so gut, weil ein neues Gesetz den Bundesbehörden erlaubte, aktiv in die Ermittlungen und den Prozess im Staat Pará einzugreifen. Doch nun ist es die höchste Bundesinstanz, die sich auf die Seite der Großgrundbesitzer schlägt.
Es gibt zwei verschiedene Gewichte für die brasilianische Justitia. Dasselbe Bundesverfassungsgericht hat im Dezember den Räumungsbescheid eines circa 500 Menschen starken Stammes der Guarani-Kaiowa Indianer aus ihrem angestammten Gebiet erlassen. Entgegen dem Antrag des Präsidenten. Gleichzeitig sitzen unzählige Landarbeiter ohne Grund oder wegen viel geringerer Vergehen in Untersuchungshaft und warten seit Jahren vergeblich auf die Freilassung oder einen Prozess.
Der Anwalt der „Commissão Pastoral da Terra“ (CPT – Pastorale Landkomission der katholischen Kirche), José Batista Gonçalves Afonso, sagte zu dieser Entscheidung: „Wir müssen mit einer Gerechtigkeit der sozialen Klassen leben, welche die Armen trifft, aber nicht schafft die Verantwortlichen für die Verbrechen zu belangen.“ Der Bischof von Xingu, Erwin Krautler, wertet diese Entscheidung als Angriff auf die sozialen Bewegungen und meinte zur Begründung des Gerichts: „Wir lassen uns nicht von Rachedurst leiten. Wir wollen Gerechtigkeit“.
Der Fall Dorothy und sein weiterer Verlauf werden zum Charaktertest für die brasilianische Gerichtsbarkeit. Zum einen geht es um Gerechtigkeit, zum anderen um unversöhnliche politische Ansichten zur Landfrage und dem ungebrochen starken Einfluss der Großgrundbesitzer auf allen politischen Ebenen.
Diese vorläufige Freiheit für einen der mutmaßlichen Auftraggeber kann eben gut auch die endgültige Freiheit bedeuten. „Taradão“ wäre nicht der erste, welcher in der gleichen Situation die Flucht ins Ausland, zum Beispiel nach Europa, antritt.