Agrarreform, Quilombolas und das Programm Terra Legal in der Ära Lula

Die Agrarreform geriet während der Lula-Regierung zunehmend ins Hintertreffen. Nach Auslaufen des Agrarreformplans von 2003 im Jahr 2007 gab es keinen weiteren Plan mehr und die Zahlen der Ansiedlungen wie auch das Budget hierfür verringerten sich bis 2010 kontinuierlich weiter. Im vergangenen Jahr sank die Anzahl der angesiedelten Familien nach Angaben der CPT noch einmal um 44% im Vergleich zum Vorjahr – flächenmäßig betrug der Rückgang sogar 72%. Die Agrarreform verschwand auch zunehmend aus den Diskursen des Präsidenten.
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Bislang stehen die offiziellen Zahlen zu Ansiedlungen während der Ära Lula noch nicht fest. Schätzungen gehen je nach Zählungsart häufig weit auseinander. Nach offiziellen Angaben habe Lula in den acht Regierungsjahren 600-700.000 Familien angesiedelt, so der Agrarreformexperte und erimitierte Professor  des Geographie-Instituts der Universität von São Paulo, USP, Ariovaldo Umbelino. Diese Schätzung aber umfasse nicht nur Neuansiedlungen, sondern auch die offizielle Anerkennung bereits bestehender Ansiedlungen. Ginge es allein um die Neuansiedlungen, könne man nach Umbelino nur von etwa 200.000 Familien sprechen.

Die Landpastorale CPT bezieht sich in ihrer Bilanz der Agrarreform unter Lula auf Daten des NERA (Núcleo de Estudos, Pesquisa e Projetos de Reforma Agrária). Diesen zufolge siedelte Lula in seiner Amtszeit etwa 480.000 Familien an. Dies seien etwa ein Fünftel weniger als unter seinem Vorgänger Fernando Henrique Cardoso in der gleichen Zeitspanne.

Gemeinsam bleibt beiden die negative Einschätzung der Agrarreformpolitik während der Ära Lula. Die CPT betont allerdings auch positive Faktoren: So habe Lula den Programmen Pronaf (Programa Nacional da Agricultura Familiar) und Pronera (Programa Nacional de Educação na Reforma Agrária) zur Unterstützung der Familienlandwirtschaft einen dauerhaften Status verliehen und die CONAB (Companhia Nacional de Abastecimento) in ein wichtiges Instrument zur Vermarktung familienlandwirtschaftlicher Produkte umgestaltet. Außerdem hob die CPT hervor, dass die Lula-Regierung selbst nicht als Akteur der Kriminalisierung der Landlosenbewegung aufgetreten sei.

Bei der Anerkennung von Land für Quilombolas sorgte Lulas Vorgänger Fernando Henrique Cardoso nach Meldungen der Zeitung O Estado de São Paulo  mit 77.700 ha für die Anerkennung von etwa vier Mal soviel Land wie Lula (193.600 ha). Allerdings beschränkte FHC sich bei den Anerkennungen auf einfach zu identifizierende Gebiete auf öffentlichem Grund, die nicht umstritten war. Bei Lula wurden z.T. auch umstrittene Gebiete anerkannt. Doch überschrieb auch er nach Daten des INCRA vor allem öffentliches Land, v.a. in Nordbrasilien . In der Regierungszeit Lula profitierten die Quilombolas allerdings wesentlich mehr von Sozialleistungen als in der Regierungszeit FHC. Insgesamt existieren in Brasilien derzeit etwa 3.500 Quilombo-Gemeinschaften, von denen knapp die Hälfte bereits offiziell von der Fundação Palmares anerkannt worden sind. Etwa 1.000 Quilombo-Gemeinschaften warten nach Daten des INCRA auf die Anerkenung ihrer Gebiete, wobei es sich häufig um umstrittene Gebiete im Zentralen Westen, Südosten oder Süden des Landes handelt. Es ist also anzunehmen, dass die Spannungen um Anerkennungen von Quilombola-Gebieten steigen werden.

Beim Programm Terra Legal in Amazonien, das im großen Stil die Übereignung von Staatsland vorsieht, wurde 30% der Fläche bislang nicht registriert. Entgegen den Befürchtungen, dass die Landübertragungn negativ auf die Landverteilung wirken könnten, zeigen die Daten eher, dass kleinere Landeigentümer überproportional von der Landtitelvergabe profitierten: 65% der neu Registrierten verfügen über weniger als ein Fiskalmodul Land – gegenüber einem vorherigen Durchschnitt von 55% . Mehr als 15 Fiskalmodule besaßen 2003 6% der Landeigentümer in Amazonien, während lediglich 0,2% der neu registrierten Eigentümer ein derart großer Landbesitz übertragen wurde. Natürlich sagen die Daten nichts über die Qualität der Titelvergaben aus – ob bspw. das Land nach wie vor umstritten ist bzw. zuvor unrechtmäßig angeeignet und nun den Falschen übertragen wurde. Zudem verzerrt ggf. der Einsatz von Strohleuten als Halter der Eigentumstitel die Zahlen über die Größe der Ländereien nach unten.