Gefährliche Pestizide und Doppelstandards

Exportverbot aus Deutschland dringend nötig
| von Christian.russau@fdcl.org
Gefährliche Pestizide und Doppelstandards
Foto: christianrussau

Um den Exportboom bei den meist ins Ausland exportierten Cash Crops wie Soja, Zuckerrohr, Eukalyptus, Mais, Baumwolle, Kaffee und Orangensaftkonzentraten voranzutreiben, sprüht Brasiliens Agrobusiness, was das Zeug hält. Das Land wurde binnen weniger Jahrzehnte zum Weltmeister beim Verbrauch von Agrarchemikalien. Seit in Brasilien im Jahr 2010 erstmals mehr als eine Million Tonnen Agrotóxicos in der Landwirtschaft versprüht wurden, trägt es den unrühmlichen Titel des größten Agrargiftverbrauchers weltweit, Tendenz steigend.

Erhebungen der Professorin Larissa Bombardi von der USP zufolge stirbt in Brasilien alle zwei Tage ein Mensch an Pestizidvergiftung, ein Fünftel der Opfer sind Kinder und Jugendliche bis 19 Jahre. Der enorme Pestizideinsatz in Brasilien führt zur Gesundheitsgefährdung der in ländlichen Regionen dem Pestizideinsatz direkt durch Luftversprühung oder durch Grundwasser- und Bodenkontamination ausgesetzten lokalen Bevölkerung (oft indigene und andere traditionelle Gemeinschaften), als auch der gesamten Bevölkerung durch zunehmend kontaminierte Lebensmittel als auch durch hohe Schadstoffwerte im Trinkwasser, ermöglicht durch zurückgefahrene behördliche Kontrollen und durch ohnehin vergleichsweise laxe gesetzliche Grenzwerte. Der vormalige UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und toxische Substanzen, Baskut Tuncak (2014-2020), stellte anlässlich seines Besuchs in Brasilien im Zusammenhang mit dem Einsatz von Pestiziden "schwere Menschenrechtsverletzungen" fest. Das Land steuere auf eine "zunehmend toxische Zukunft" zu.

Indessen verfestigt die Bolsonaro-Regierung Brasiliens Führungsrolle beim Pestizidverbrauch: Neuesten Erhebungen des Professors Marcos Pedlowski von der staatlichen Universität in Campos dos Goytacazes im Bundesstaat Rio de Janeiro wurden in der Amtszeit der Bolsonaro-Regierung (Jan. 2019 bis Erhebungsstichtag 20. Sept. 2022) insgesamt 1.848 neue Agrargifte zugelassen. Das Investigativportal Agência Pública errechnete allein auf Basis der Daten bis einschließlich Juni 2022, dass von den unter Bolsonaro neu zugelassenen Pestiziden 818 mindestens einen Wirkstoff enthielten, die in der EU schon längst verboten sind.

Derweil zielen die Bolsonaro-Regierung im Einklang mit der fraktionsübergreifenden Gruppe der "Ruralista"-Abgeordneten auf weitere Flexibilisierung der Pestizide im Land. Der Gesetzesentwurf PL 6299/2002 über den Einsatz von Pestiziden im Land soll den derzeitig noch gültigen Rechtsrahmen, das Gesetz 7.802, das seit 1989 in Kraft ist und das die Grundlagenbestimmung über Produktion, Lagerung, Verwendung und Entsorgung von Agrarchemikalien in Brasilien definiert, ersetzen. Die PL 6299/2002 verstößt nach Ansicht der Campanha Permanente Contra os Agrotóxicos e Pela Vida gegen mehrere Artikel der Verfassung sowie gegen von Brasilien ratifizierte Abkommen und Verträge und sieht zudem die Freisetzung krebserregender Pestizide vor, als auch eine Ausweitung der Befugnisse des Ministeriums für Landwirtschaft und Viehzucht (MAPA) sowie Änderungen in der Bewertung von Agrarchemikalien, die auf eine de-facto-Abschaffung der Befugnisse der Gesundheitsbehörde Anvisa und und der Umweltbehörde Ibama hinauslaufe und dergestalt Raum für eine "Industrie" der befristeten Zulassungen schaffe. Mit 301 zu 150 Stimmen hatte die Abgeordnetenkammer am 9. Feb. 2022 das von Kritiker:innen als "Giftpaket" gebrandmarkte Gesetzesvorhaben PL 6299/2002 angenommen. Der Gesetzesentwurf liegt nun im Senat, wo er jeden Tag im Landwirtschaftsausschuss abgestimmt werden kann, nachdem dies Ende November noch einmal verschoben wurde.

Zu den größten Verkäufern von Pestiziden in Brasilien zählen zwei Firmen aus Deutschland: Bayer und BASF. Diese verkaufen in Brasilien auch Pestizide mit Wirkstoffen, die in der EU verboten sind. Die Zahl der von Bayer in Brasilien vertriebenen, aber laut der Pestizid-Datenbank der EU in Europa nicht zugelassenen Wirkstoffe, hat von 8 im Jahr 2016 auf 12 im Jahr 2019 zugenommen, bei BASF ist eine Zunahme von 9 (2016) auf 13 (2019) festzustellen. Laut Larissa Bombardis Erhebung finden sich unter den von der Bolsonaro-Regierung freigegebenen Pestiziden 45 Produkte von BAyer und BASF.

Im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Grünen und FDP steht: "Wir werden von den rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch machen, den Export von bestimmten Pestiziden zu untersagen, die in der EU aus Gründen des Schutzes der menschlichen Gesundheit nicht zugelassen sind." Im September 2022 erklärte das BMEL: "Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) bereitet ein Exportverbot für bestimmte gesundheitsschädliche Pflanzenschutzmittel vor, die in Deutschland produziert werden, aber in der EU nicht eingesetzt werden dürfen. [...] Um das Ausfuhrverbot bestimmter Pflanzenschutzmittel umzusetzen, erarbeitet das BMEL derzeit in guter Zusammenarbeit mit den beteiligenden Ressorts eine Verordnung nach dem Pflanzenschutzgesetz. Ein Referentenentwurf soll bis Ende des Jahres vorliegen. Zuvor wurden diverse andere Rechtsetzungswege untersucht."

Ein solches Exportverbot ist äußerst begrüßenswert, bleibt aber die Frage der Ausgestaltung und der drohenden Rechtslücken. Das Rechtsgutachten des ECCHR im Auftrag des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), der Heinrich-Böll-Stiftung, des INKOTA-netzwerk, des Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany) und der Rosa-Luxemburg-Stiftung fordert von der Bundesregierung "eine sofortige Umsetzung eines Pestizidexportverbots durch eine Verordnung, um damit zeitnah Gefahren für die Gesundheit der Menschen und die Umwelt in Ländern des globalen Südens abzuwehren. Das BMEL kann auf Grundlage der Verordnungsermächtigung im § 25 Absatz 3 Nr. 2 des Pflanzenschutzgesetzes sofort tätig werden. Zudem muss die Bundesregierung ein Verfahren zur Reform des Pflanzenschutzgesetzes einleiten, um ein Exportverbot nicht nur für Pestizidprodukte, sondern auch für reine Pestizidwirkstoffe und Beistoffe auf rechtlich langfristig tragfähige Füße zu stellen. Zudem sehen die Auftraggeber die dringende Notwendigkeit, dass die Bundesregierung auch Biozide entsprechend reguliert und ein Exportverbot umsetzt."

Weitere Rechtslücken würden sich aber dennoch einstellen: denn selbst ein (rundum begrüßenswertes) robustes Ausfuhrverbot könnte nicht verhindern, dass Konzerne wie Bayer und BASF künftig vermehrt die von der Ausfuhr aus Deutschland ausgeschlossenen gefährlichen Pestizide und Wirkstoffe in ihren firmeneigenen Werken beispielsweise in Brasilien selbst produzieren, wo diese Produkte und Wirkstoffe als legal gelten, obwohl sie eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit, Umweltzerstörung und somit eine potentielle Verletzung der Menschenrechte darstellen. Hier stellt sich die Frage nach der ab Januar 2023 geltenden rechtlichen Durchgriffswirkung des Lieferkettengesetzes.

// Christian Russau