Neuer Rohstoffboom

Brasilien will sein Bergbaugesetz ändern.
| von Uta Grunert

Über 30 Organisationen der brasilianischen sozialen Bewegung, die sich mit sozio-ökologischen Folgeschäden beim Abbau mineralischer Rohstoffe in Brasilien beschäftigen, gehen in Alarmbereitschaft, darunter die Organisationen Ibase, Inesc, MST und Justiça nos Trilhos[1]. Die steigende weltweite Nachfrage nach Erzen und anderen mineralischen Rohstoffen kurbelt diesen Wirtschaftszweig ungebremst an. Über 1,5 Milliarden Tonnen mineralische Bodenschätze werden jährlich in Brasilien abgebaut, gravierende ökologische und soziale Schäden sind die Folge. Die Organisationen drängen auf eine breitere Debatte der Zivilgesellschaft über die gesetzlichen Änderungsvorhaben der Regierung im Bergbausektor. Die Rechte betroffener Bevölkerungsgruppen müssten gewahrt werden, ehe man Eingriffen durch große Konzerne zustimme. Es könne nicht sein, dass der Konflikt um wirtschaftlichen Profit einer Branche auf dem Rücken der Landbevölkerung ausgetragen werde.
Brasilien drängt auf eine Modernisierung seines Bergbaugesetzes. Die Bewegung reagiert mit sieben Kernforderungen:
1. Garantie von Demokratie/Beteiligung und Transparenz bei der Formulierung und Umsetzung brasilianischer Bergbau- und Rohstoffpolitik
2. Garantie von Mitspracherechten (Beratung, Zustimmung und Widerspruch) für lokale Bevölkerungsgruppen, die von Bergbau- und Rohstoffprojekten betroffen sind
3. Berücksichtigung von Abgaben und Förderzyklen
4. Eingrenzung und Sicherung von Zonen, in denen Eingriffe durch Bergbau und Minen untersagt sind
5. Erfassung von Umweltschäden sowie Auflagen für die Minenbetreiber: Verbindliche Abbauplanungen mit zeitlicher Terminierung und Kontingentierung der Ressourcen
6. Garantie und Schutz von Arbeiter_innen-Rechten
7. Garantierte Einhaltung der ILO-Konvention 169 zum Schutz von indigenem Territorium. Eine Abbau-Genehmigung ist nur unter Wahrung der Statuten der indigenen Völker zu erteilen
Das aktuelle Bergbaugesetz Brasiliens ist seit 1967 in Kraft. Seit fünf Jahren wird an Änderungen gefeilt, nun wird es zur Abstimmung gestellt[2]. Die Regierung hat ihr Vorhaben nach den langwierigen Erfahrungen beim Waldschutzgesetz Código florestal im Vorfeld intern mit den Parlamentariern abgestimmt. Die Zeit drängt, man will es schnell über die Bühne bringen. Daher auch die Einreichung als Eilantrag, in drei Monaten soll die Änderung vom Tisch sein. Gegen diesen Zeitdruck und die Verweigerung einer breiten öffentlichen Diskussion wendet sich der Protestbrief von über 60 Organisationen Código da Mineração, urgência não![3](Bergbau-Gesetzesänderung – ohne Zeitdruck!)
Mit der geplanten Regelung erhält die Regierung neue erweiterte Entscheidungsbefugnisse. Andere Behörden haben nur noch beratenden Charakter. Der neue Nationalrat für Rohstoff-Politik (Conseilho Nacional de Politica Mineral/CNPM) berät die Regierung, während die Nationale Bergbauvertretung (agencia Nacional de Mineracao/ANM) Genehmigungsverfahren und wissenschaftliche Aspekte als reine Regulierungsbehörde begleitet.
Regionen mit reichhaltigen Rohstoffvorkommen sollen in Zukunft in Großeinheiten für das Bieterverfahren ausgeschrieben werden. Dies soll den Wettbewerb unter den Bietern erhöhen. Der kombinierte Abbau von z.B. Erdöl und Erdgas wird damit möglich. Auch der Prozess im Vorfeld des Abbaus wird beschleunigt. So entfallen die Schürfgenehmigung und die Verordnung für den Abbaubeginn. Schürfgenehmigungen, wo noch nicht mit dem Abbau begonnen wurde, dürfen zurückgezogen werden. Damit will man der Rohstoffspekulation vorbeugen. Bereits registrierte Schürfgenehmigungen und Abbauverordnungen werden jedoch respektiert. Schürfrechte sind auf 40 Jahre beschränkt und können um weitere 20 Jahre verlängert werden. Bislang galt die erteilte Genehmigung ohne zeitliche Bindung, bis die Rohstoffquelle versiegte.
Die Förderlizenzgebühr (aliquota dos royalties), die bislang als finanzielle Einnahme für den Staat nach der Konzessionsvergabe vom Bergbaukonzern zu entrichten ist, wird neuerdings in ihrer Höhe von der Regierung festgesetzt. Die Bergbau-Royalties beliefen sich bislang auf 0,2 bis 3 Prozent. Als neue Obergrenze der Regierung werden derzeit vier bis sechs Prozent diskutiert. Mit diesem wirtschaftlichen Mechanismus verspricht sich die Regierung Rousseff neue Einnahmequellen bei der Vermarktung der Rohstoffreserven des Landes. Während der Massenproteste rund um den CONFED Cup verwies die Präsidentin auf die Erdöl-Royalties als Finanzquelle. Dringend notwendige Ausgaben im Bildungsbereich sollen aus 75 Prozent der Lizenzgebühren der Erdölförderer in Brasilien bestritten werden[4]. Die Regierung rechnet insgesamt mit einer Erhöhung der Einnahmen von R$ 1,8 Milliarden (0,6 Mrd. €) auf R$ 4,2 Milliarden (1,4 Mrd. €) im Jahr[5]. Im Vergleich mit anderen großen Rohstoffexportländern wie Kanada, Chile oder Russland waren für Brasilien die Einnahmen bei der Vermarktung der mineralischen Rohstoffe bislang vergleichsweise niedrig.
Brasiliens Wirtschaftsmodell setzt stark auf Rohstoffexporte. Der Export von Erzen – hier geht es vor allem um Eisenerz – macht 23,5% der brasilianischen Exporte aus. Vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts Brasiliens stammen aus diesem Marktsegment. Wachsendes Interesse rufen aber auch Gold und Niob hervor, ein Schwermetall, das für die Edelstahlproduktion verwendet wird. Rohstoffabbau und -vermarktung siedeln sich oft in unmittelbarer Nähe von Großprojekten an. Im Prozess um deren Zustandekommen wurden die Rechte der lokalen, teilweise indigenen Bevölkerung bereits geschwächt oder missachtet. Umsiedlungen sind Teil des Konzepts. In dieser Verdrängung von lokalen Bevölkerungsgruppen ist der Wettkampf ausländischer Konzerne um Rohstoffe ein nächster Schritt. So erhielt beispielsweise die Belo Sun Mining Agentur aus Kanada im Juni 2013 die Umweltlizenz für die Goldvorkommen in unmittelbarer Nachbarschaft zum Megastaudamm Belo Monte[6].
In Erwartung der gesetzlichen Veränderungen im Bergbausektor sind derzeit 5.000 Rohstoffabbau-Projekte mit einem Investitionsvolumen von 20 Milliarden R$ eingefroren.
Umweltgruppen und soziale Bewegungen werfen der Präsidentin vor, durch die Priorisierung von Rohstoffabbau und Staudammprojekten die Ausweisung von Schutzgebietsflächen extrem zu vernachlässigen. Die Zahlen belegen dies. Während Dilmas Amtszeit konnten erst zwei neue Schutzgebietseinheiten (UC/Unidades de Conservaçao) geschaffen werden. Das ist seit zwanzig Jahren das niedrigste Ergebnis in der Umweltpolitik. Seit der Militärdiktatur hat nur ein Präsident diese Leistung noch unterboten: Itamar Franco hatte nur eine Schutzgebietseinheit politisch umgesetzt.
Nach Angaben der Folha de São Paulo[7] würden laut unveröffentlichter Daten der NRO ISA (Instituto socioambiental) mindestens 14 Anträge für Schutzgebiete durch die Regierungspolitik blockiert und kämen nicht zur Bearbeitung. Das Instituto Chico Mendes habe die Anträge als zuständige staatliche Stelle bearbeitet. Die Hälfte der Anträge bezöge sich auf Gebiete im Atlantischen Küstenregenwald Mata Atlântica. Dem Umweltministerium fehle die politische Durchsetzungskraft und der Regierungschefin mangele es an politischem Willen, so die Einschätzung von Mitarbeiter_innen des Instituto Chico Mendes. Nach ihrer politischen Laufbahn im Ministerium für Bergbau und Energie sehe sie in Schutzgebieten lediglich eine lästige Behinderung für die gewinnbringende Wirtschaftszweige: Wasserkraft und Rohstoffabbau.
Von den insgesamt 12 unterschiedlichen Schutzgebietstypen, die es in Brasilien gibt, lassen einige auch den Bau von Wasserkraftwerken und die unterirdische Nutzung von Bodenschätzen zu. Dennoch geht jegliche Projektbewilligung in ausgewiesenen Schutzgebieten aufwändiger und langsamer vonstatten. Sie sind also ein effektives Mittel gegen Umweltzerstörung. Dies belegt auch eine Studie[8] von brasilianischen und US-amerikanischen Forscher_innen, die die Ausweitung von Schutzgebietsflächen im Amazonasgebiet für den Entwaldungsrückgang von 37 Prozent zwischen 2004 und 2006 verantwortlich macht. Gleichzeitig bleiben auch die Schutzgebiete gefährdet: Zwischen 2011 und 2012 wurde in den zehn Schutzgebieten mit der höchsten Entwaldungsrate ein weiterer Anstieg um 23 Prozent ermittelt. Wissenschaftler_innen des Amazonasforschungsinstituts Imazon werfen der Präsidentin vor, Schutzgebietsausweisungen zu blockieren und gleichzeitig im Amazonasraum die Reduktion bestehender Gebiete zuzulassen.

Endnoten:
[1] http://www.vermelho.org.br/noticia.php?id_noticia=214896&id_secao=8
[2] http://www.estadao.com.br/noticias/impresso,o-codigo-de-mineracao-,1046200,0.htm
[3] http://www.socioambiental.org/pt-br/noticias-socioambientais/codigo-da-mineracao-urgencia-nao
[4] http://www.kooperation-brasilien.org/de/kick-for-one-world/aktuelles/warten-auf-einen-dialog
[5] http://www1.folha.uol.com.br/fsp/opiniao/115345-mineracao-competitiva.shtml
[6] http://www.socioambiental.org/pt-br/blog/blog-do-ppds/projeto-de-mineracao-ao-lado-de-belo-monte-esta-prestes-a-receber-licenca-ambiental
[7] http://www1.folha.uol.com.br/fsp/poder/115576-dilma-trava-novas-unidades-ambientais.shtml
[8] http://www.imazon.org.br/publications/books/critical-proteced-areas-in-the-brazilian-amazon