"Da war also irgendetwas, was genau in diesem Moment da bei dem Wasserkraftwerk und Stausee passierte, dass sie da diese Eile hatten"
Die Terra Indígena Arara liegt an der Volta Grande, der Großen Flussschleife des Xingu, dort wo derzeit das künftig drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt, Belo Monte, gerade fertiggestellt wird. Der Zuführungskanal, das 512 Quadratkilometer umfassende Reservoir sowie der sich zum Wasserkraftwerk hin zuspitzende Stausee sind bis oben randvoll, wie bei einem Überflug über die gesamte Anlage vor wenigen Tagen KoBra mit eigenen Augen begutachten konnte. Es hatte Ende Februar viel geregnet, so dass der Staubereich nun komplett angefüllt ist, obwohl die Flutung erst gegen Ende des Jahres begonnen hatte. Nur scheint es zu viel geregnet zu haben oder aber die Ingenieure haben sich gründlich verrechnet. Denn es kam vor wenigen Wochen zu einem Zwischenfall, den der Kazike Zé Carlos Arara der Terra Indígena Arara, die in der Volta Grande am rechtsseitigen Xingu-Ufer liegt, in Altamira bei der Bundesanwältin in Gegenwart von KoBra berichtete. Der selbe Vorfall wurde in Interviews und Gesprächen von KoBra mit Vertretern der linksseitig des Xingu-Flusses gelegenen Terra Indígenas Muratu, Paquiçamba und Furo Seco bestätigt.
In der Aldeia der Arara leben über 100 Menschen und sie haben ein Radio, mit dem sie mit der Außenwelt kommunizieren, immer morgens zwischen 8 und 11 Uhr sowie am Nachmittag gegen 3 Uhr. Der Kazike der Aldeia, Zé Carlos, hat ein Handy, über das er, wenn er Empfang hat, meistens erreichbar ist. Vor einigen Wochen war er in der Stadt Altamira, einige Bootsstunden flussaufwärts, um Besorgungen für die Aldeia zu machen, da klingelte am Abend sein Handy, und die Staudammbetreiber der Firma Norte Energia riefen an, um ihm mitzuteilen, dass sie jetzt die Schleusentore bei der ersten Staustufe Pimental öffnen würden und dort viel Wasser in die Volta Grande ablassen würden, so dass der dortige Wasserstand rapide steigen werde. Ob er die Anwohner davon in Kenntnis setzen könnte? Lesen Sie hier die Aussage des Kaziken Zé Carlos Arara über den Vorgang, der sich vor wenigen Wochen an der Volta Grande abspielte. Die Aussage von Zé Carlos Arara ist vom 11. März 2016.
Zé Carlos Arara: Sie riefen mich an, als ich gerade in der Stadt Altamira war. Montags bin ich meistens in Altamira. Und da riefen sich mich auf dem Handy an, so gegen halb acht, acht Uhr am Abend. Norte Energia rief mich an und sie sagten sofort, dass sie die Schleusen unmittelbar öffnen würden, da der Wasserstand sehr hoch sei. Aber in diesem Moment, wenn ich mit dem Handy in Altamira bin, dann ist die einzige Kommunkationsmöglichkeit mit der Aldeia Arara das Radio. Und das Radio ist von 8 Uhr bis 11 Uhr am Morgen und dann wieder um drei Uhr am Nachmittag in Betrieb. Mein Handy ist das einzige in der Aldeia, also gab es zu diesem Zeitpunkt rein gar keine Möglichkeit, die Aldeia zu kontaktieren und sie vorzuwarnen, dass das Wasser nun ansteigen würde. Ich sagte Norte Energia, ich bin jetzt in Altamira, ich versuche, die Aldeia zu erreichen, aber ich stellte auch klar, dass es nicht meine Verantwortung ist, dass es ihre Verantwortung sei. Ich sagte, wenn ich es schaffe, der Aldeia Bescheid zu geben, ok, wenn nicht, dann sei das einzig ihre Verantwortung. Ich habe alles versucht, sie zu erreichen. Ich habe es immer wieder versucht. Ich habe es nicht geschafft.
Ich war dann sehr unruhig und besorgt, konnte nicht einschlafen, bin früh am Morgen aufgestanden und habe versucht rauszufinden, was denn nun passiert ist. Um 8 Uhr am Morgen habe ich es dann geschafft, die Aldeia per Radio zu erreichen. Die haben mir dann sofort erzählt, dass in der Nacht auf einmal all das Wasser den Fluss runterkam und Vieles von den Fluten mitgerissen wurde. Boote, Motoren, Netze, alles, was da abgelegt worden war. Und was nicht mitgrissen wurde, wurde oftmals zerstört von den Wassermassen. Die Zementmischung zum Beispiel, komplett aufgeweicht und somit nutzlos.
Das Ganze war sehr beängstigend. Und vor allem unverantwortlich! Denn es war ein vollkommen unangemessener Zeitpunkt, den sich Norte Energia da ausgesucht hatte. Weil ich war da gerade in Altamira, in der Stadt, und nicht in der Aldeia. Wäre ich in der Aldeia gewesen, dann wäre das alles kein Problem. Aber machmal bin ich eben in der Stadt, um Besorgungen für die Aldeia zu machen, da habe ich dann mein Handy mit dabei, und es ist das einzige, das wir haben. So gibt es dann außerhalb der Radioempfangzeiten keine Möglichkeit, die Aldeia zu erreichen und die Leute zu warnen.
Ich habe Norte Energia am Telefon noch gefragt, 'kann man das nicht morgen machen? Jetzt kann ich die Aldeia nicht erreichen und meine Leute nicht warnen, wenn wir das Morgen am Vormittag machen, alles kein Problem.' Und die Antwort von Norte Energia: 'Keine Chance. Wir müssen das jetzt machen.'
Es sei höchstdringlich. Da war also irgendetwas, was genau in diesem Moment da bei dem Wasserkraftwerk und Stausee passierte, dass sie da diese Eile hatten. Und sie haben die Schleusentore ja offensichtlich auch nicht langsam geöffnet, dann wäre das ja alles nicht so schlimm gewesen, nein, sie haben das abrupt aufgerissen. Die haben die Schleusentore offensichtlich alle auf einmal geöffnet, so kam es dann zu dieser Wasserflut, die unsere Aldeia mit voller Wucht traf.
Das alles ist äußerst besorgniserregend. Denn es handelt sich dabei schießlich um eine Riesenprojekt, mit gigantischen Ausmaßen, und sobald da was schiefgeht, hat das enorme Konsequenzen. Und offensichtlich ist ihr Plan, ihr Kommunikationsplan und ihr Kommunikationsmangement nicht angemessen. Denn sie müssten uns vorher informieren, meintewegen am selben Tag, aber wir brauchen genügend Zeit, uns und unsere Habseligkeiten in Sicherheit zu bringen, bevor die Flut aus den Schleusentoren auf einmal rausströmt. Das geht so alles nicht. Nein, das geht einfach nicht. Und das haben sie nicht gemacht. Es muss da irgendwie so gewesen sein, dass da jemand am Abend hinging und feststellte, dass da irgendetwas Schwerwiegendes total schief läuft und haben abrupt entschieden, die Schleusentore zu öffnen. Und für uns waren dann die Konsequenzen da. Meine Leute berichten, sie dachten, die Welt ginge unter. All das Wasser, diese Massen an Wasser. Das geht so nicht, das darf nicht sein. Sie müssten uns zumindest immer rechtzeitig vorher informieren, warnen, bevor das Wasser kommt, damit wir uns vorbereiten können. Aber einfach so, nein, das geht gar nicht. Wir können jetzt unsere Boote und Motoren und Netze nicht mehr einfach so liegen lassen am Ufer, weil ja jederzeit erneut so eine Flutwelle vom Staudamm herkommen kann. Weil das kann ja sonst alles mitgerissen werden. Das ist sehr, sehr besorgniserregend für uns.
Und letzte Woche war ich in der Aldeia Paquiçamba und habe sie gefragt, 'war das Wasser bei euch auch so hoch und haben sie euch vorher gewarnt?' 'Nein', haben die gesagt, 'gewarnt hat uns niemand, und das Wasser stieg sehr schnell an und stand auf einmal sehr hoch.' Dabei haben die da ein Telefon, das 24 Stunden in Betrieb ist. Norte Energia hielt es nicht einmal für nötig, die anzurufen. Das ist nicht das Kommunikationsmanagment mit uns Indigenen, das Norte Energia eigentlich versprochen hatte!