"Brasilien befindet sich derzeit in einem regelrechten Ausnahmezustand, Brasiliens Demokratie steht unter Beschuss"
Genossinnen und Genossen, ich grüße Euch.
Es grüßen Euch die brasilianische Arbeiterpartei PT, im Namen ihrer Vorsitzenden Gleisi Hoffmann, im Namen ihres Ehrenpräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva sowie im Namen des Präsidentschaftskandidaten Fernando Haddad sowie hier durch mich, Paulo Teixeira, Mitglied der brasilianischen Abgeordnetenkammer und Vizepräsident der PT, wir grüßen den Europaparteitag der Partei DIE LINKE.
Brasilien befindet sich derzeit in einem regelrechten Ausnahmezustand, Brasiliens Demokratie steht unter Beschuss. Nach 12 Jahren Wirtschaftswachstums mit intensiver Umverteilungspolitik während der Amtszeiten von Lula und Dilma, hat die herrschende Klasse Brasiliens die demokratisch gewählte Regierung des Amtes enthoben, ohne dabei die verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Bedingungen zu erfüllen. Dies alles mit dem Ziel, eine Politagenda der Finanzmärkte durchzusetzen.
Nicht nur wurde eine demokratische gewählte Regierung aus dem Amt gedrängt, sie haben obendrein Lula verhaften lassen auf Basis einer juristischen Farce, ohne dass es ihnen je gelungen wäre zu beweisen, dass Lula auch nur irgendeine Vorteilsnahme erhalten oder irgendein der Korruption verdächtiges Verhalten an den Tag gelegt hätte, was seine Verhaftung hätte begründen können.
Der einzige Zweck von Lulas Verurteilung und Inhaftnahme war, ihn von den 2018er Präsidentschaftswahlen fernzuhalten. Während des Wahlkampfs und vor dem Verbot seiner Kandidatur, führte Lula alle Wahlkampfumfragen an. Der Richter, der Lula ins Gefängnis brachte, ist nun der „Justiz“-Minister der Bolsonaro-Regierung. Dies zeigt klar und deutlich die politische Motivation dieses Prozesses.
Die Haft Lulas erfolgte durch eine Intrige von Teilen der großen Medien, der Justiz, der Militärs sowie mit Unterstützung der USA, die durch ihr Justizministerium weite Teile der brasilianischen und lateinamerikanischen Justiz beeinflußt haben. Beispiele dafür sind die Justiz-Verfolgungen von Lula, Cristina Kirchner, Rafael Corrêa und Mauricio Funes.
Der jetzige Präsident Brasiliens schart in seiner Regierung um sich herum eine Reihe von Militärs, die zusammen mit dem Richter Sérgio Moro Druck aufgebaut haben, um Lula seine verfassungsmäßen Rechte nehmen, ihn in Haft zu halten und ihn so daran zu hindern, an den Wahlen teilzunehmen. Juristen aus Brasilien und aller Welt haben sich dazu eindeutig geäußert und gegen die politische Gefangenschaft protestiert.
Lula wurde ins Gefängnis gesteckt und Dilma des Amtes enthoben, weil im Jahr 2009 vor der Küste Brasiliens im Meer die reichen Erdölvorkommen entdeckt wurden und weil Brasilien außenpolitisch sehr erfolgreich mit den BRICS-Ländern (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) zusammenarbeitete, beides Politikerfolge, die den Interessen der USA zuwiderlaufen.
Jetzt sind gerade mal 50 Tage der Amtszeit der neuen brasilianischen Regierung vergangen, und bereits jetzt erleben wir eine schwere politische Krise.
Aufgedeckt wurden wirtschaftliche Verbindungen der Familie des Präsidenten Bolsonaro mit dem organisierten Verbrechen Rio de Janeiros. Die kriminellen Gruppen mit den Wirtschaftsbeziehungen zur Bolsonaro-Familie sind die gleichen, die zur Zeit im Verdacht stehen, mit der Hinrichtung der Stadträtin Marielle Franco von der Partei PSOL in Rio de Janeiro im Zusammenhang zu stehen.
Und die Probleme dieser Regierung reichen zurück zum Wahlkampf. Sie haben einen schmutzigen Wahlkampf betrieben, voll mit fake news und mit einer enormen Menge an Geldern illegaler Herkunft, alles Fakten, die die brasilianische Gesellschaft jetzt nach und nach erfährt und gegen die die brasilianische Justiz keinerlei Maßnahmen ergriffen hat. Die Rolle, die Cambridge Analítica bei den Wahlen von Trump und der Brexit-Abstimmung gespielt hat, waren bekannt. Und die gleiche Firma – ebenso wie der Stratege Steve Bannon – hat das Wahlkampfteam Bolsonaros beraten.
Wegen all dieser Gründe wurde in den vergangenen 50 Tagen der Regierung Bolsonaro ein Minister geschasst und derzeit erleben wir den Sturz des zweiten. Und die brasilianische Justiz muss immer noch Antworten geben über die Beziehungen der Familie Bolsonaro mit dem organisierten Verbrechen und über die Verwendung illegaler Gelder im Wahlkampf.
Die wirtschaftspolitische Agenda dieser Regierung ist eine ultraliberale und sie zielt auf die Schleifung von Rechten. Die Regierung ist pro-Finanzmarkt und dieser versucht, sich die Mittel der staatlichen Rente einzuverleiben. In weniger als einem Monat wurden die sozial unterstützenden Maßnahmen und die des Rentenwesens den Alten, den mit Behinderungen Lebenden, den Landarbeitern und den Arbeitern in den urbanen Räumen mit niedrigen Löhnen massiv gekürzt.
Was wir derzeit miterleben, ist dass die vor der Küste Brasiliens entdeckten Erdölvorkommen, der Wirtschaftsbereich der Energiefirmen und des kommunalen Wassersektors dem Privatsektor zugeschustert werden sollen.
Die Außenpolitik Brasiliens folgt den Vorgaben Donald Trumps, auch im Hinblick auf eine Intervention in Venezuela. Dahinter steckt wie im Falle von Brasiliens: das Erdöl! All das läuft den Prinzipien der UNO zuwider: keine Intervention von Außen, Respekt der Selbstbestimmung und Souveränität der Völker. All das läuft der Tradition der brasilianischen Außenpolitik zuwider, die immer an Lösungen arbeitete, die auf Dialog und Verhandlung basieren. Trump, Bolsonaro und Duque wollen dies Venezuela entreißen.
Brasiliens Regierung ist eine autoritäre Regierung, die nun Maßnahmen beschlossen hat, die brasilianischen Nichtregierungsorganisationen und die sozialen Bewegungen zu kontrollieren und diejenigen finanziell zu strangulieren, die andere als die Interessen der Regierung verfolgen, so zum Beispiel bei der Landlosenbewegung MST und der Bewegung der obdachlosen Arbeiter MTST. Politische Gegner wie zum Beispiel Jean Wyllys mussten ins Exil nach Europa gehen, wegen der massiven Morddrohungen gegen ihn. Bolsonaro sagte, Lula solle im Gefängnis verrotten.
Es ist dies eine Regierung, die sich gegen alle laizistische Tradition des brasilianischen Staates richtet. Und es ist dies eine Regierung, die sich klar gegen Frauen, gegen Schwarze, gegen die LGBTQI*-Bewegung, gegen die Indigenen positioniert.
Dennoch, wir grüßen diesen Kongress der Partei DIE LINKE, die gerade ein starkes Bekenntnis für ein solidarisches, friedliches, demokratisches und mit der Umwelt im Einklang lebendes Europa abgegeben hat, und wir erinnern an dieser Stelle noch einmal mit allem Nachdruck daran, dass Lula ein politischer Gefangener ist, dass Brasiliens Demokratie aktuell unter Beschuss steht und sich in einem Ausnahmezustand befindet. Deshalb bitten wir um Eure konkrete Unterstützung bei der Befreiung von Lula aus dem Gefängnis. Ich weiß, dass Euer Zeitplan hier eng gestrickt ist, aber ich frage Euch hier, können wir über einen tosenden Applaus gemeinsam fordern: Freiheit für Lula? – Lula Livre!
// Übersetzung: Christian Russau