Thyssenkrupp und die Frage nach der Sorgfaltspflicht in der Zuliefererkette

Rede von Igor Birindiba Batista (KoBra - Kooperation Brasilien e.V) auf der Jahreshauptversammlung von ThyssenKrupp AG am 29.01. 2016 in Bochum.
| von KoBra
Thyssenkrupp und die Frage nach der Sorgfaltspflicht in der Zuliefererkette
Igor Birindiba Batista. Foto: KoBra

-ES GILT DAS GESPROCHENE WORT-

Sehr geehrte Aufsichtsräte, Vorstände, Aktionärinnen und Aktionäre,

das Thema Nachhaltigkeit in der Konzernstrategie möchte ich aufnehmen. Ich heiße Igor Batista, bin Vorstandsmitglied beim bundesweiten Netzwerk der Brasilien-Solidaritätsgruppen in Deutschland, kurz KoBra e.V. Hier spreche ich im Namen eines Bündnisses aus Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre und Kooperation Brasilien e.V. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf die größte Umweltkatastrophe der Bergbaugeschichte Brasiliens richten und kurz hervorheben, was dies mit dem Unternehmen Thyssen-Krupp zu tun hat. Stichwort: Sorgfaltspflicht in der Zuliefererkette.

Um Ihnen die geographisch fernen Ereignisse näher zu bringen, lassen Sie mich übersetzen: 10 Km von hier entfernt, im Bochumer Stadtteil Querenburg, befindet sich einer von sechs Ruhrstauseen. Sicherlich kennen Sie den Kemnader See, der im Verlauf der Ruhr 1979 angelegt wurde und der vor allem Aufgaben der Wasserversorgung und Reinigung der Ruhr übernimmt. Sie wissen auch um den hohen Wert des genannten Stausees für die Bevölkerung der umliegenden Großstädte. Man geht dort baden, schwimmen, treibt Wassersport, sitzt abends bei einander.

Bitte, stellen Sie sich bitte, für einen kurzen Moment folgendes Szenario vor, wie es an einem ähnlichen Ort passiert ist :

  • Also, stellen Sie bitte jetzt den See vor - voller feinkörniger giftiger Rückstände aus der Aufbereitung von Eisenerzen.

  • Nun stellen Sie bitte auch vor, die Stauanlage, also die Stauwehr, bricht eines Tages. Stellen Sie sich vor, wie eine Schlammlawine dutzende Häuser unter sich begräbt.

  • 17 Menschen sterben und auf fast 220 Kilometer Länge ist der Fluss biologisch komplett tot. Die mit Arsen, Cadmium, Quecksilber und anderen Elementen kontaminierte braune Brühe erreicht – bleibt man im Bild vom Kemnader See - den Rhein und mündet später dann in die Nordsee.

Dieses Szenario ist Realität geworden: Natürlich nicht hier, sondern im fernen Brasilien. In der kleinen Stadt Mariana, 450 Km von Rio de Janeiro entfernt.

 

Sehr geehrte Aufsichtsräte, Vorstände, Aktionärinnen und Aktionäre:

Am 5. November haben sich giftige Wassermassen aus einem Rückhaltebecken des Unternehmens Samarco in einer Schlammlawine dutzende Häuser unter sich begraben und ein soziales und ökologisches Desaster verursacht. Die Bergbaugesellschaft Samarco wird gemeinschaftlich von BHP Billiton und Vale betrieben.

Auf fast 800 Kilometern Länge ist der süße Fluss, der Rio Doce, nun tot. 17 Menschen starben, 2 gelten noch immer als vermisst. Hunderttausenden Menschen am Fluss wurde ihre Trinkwasserquelle genommen, Fischer am Fluss stehen vor dem Nichts.

Der Bergbaukonzern Samarco setzt im Bereich Eisenerzpellets jährlich 3,6 Mrd. US$ um und exportiert ca. 20% nach Europa. Er bezieht nach eigenen Angaben den Großteil seiner Geräte aus dem Ausland. Das in Mariana/Brasilien abgebaute Erz, wo die Umweltkatastrophe stattfand, wird in einer Aufbereitungsanlage für den Transport aufgeschlämmt und durch die 396 Kilometer lange Rohrleitung bis zur Pelletieranlage transportiert. Das Ende der Eisenerzpipeline liegt bei der Pelletieranlage im Tiefwasserhafen Ponta Ubu, am Atlantischen Ozean.

Sehr geehrte Aktionärinnen und Aktionäre: Thyssen-Krupp lieferte an Samarco u.a.:

  • Rohrleitungen für die ca. 400 km große Eisenerzpipeline, die ich bereits erwähnt habe.

  • Eine Gutbett-Walzenmühle des Typus POLYCOM,

  • sowie eine Kugelmühle.

Herr Dr. Hiesinger sprach in seiner Rede 2014 auf der HV von Berücksichtigung und Einhaltung der Sorgfaltspflichten in grundlegenden Unternehmensentscheidungen.

Doch zu Thyssen-Krupps Sorgfaltspflichten gehört auch die Überprüfung der Abnehmer seines Technologieequipments. ISO-Zertifizierungen wie diejenigen, die Samarco in Brasilien vorweisen kann und stets eingehalten hatte, sind dazu nicht ausreichend.

Auch wenn ThyssenKrupp keine direkte oder indirekte Verantwortung für das Desaster in Brasilien trägt, muss man sich fragen, ob die Unternehmensführung samt Aufsichtsräten ihren Sorgfaltspflichten ausreichend nachkommen. In Ihrer Stellungnahme zu unseren Gegenanträgen, das können Sie nachlesen, verehrte Aktionärinnen und Aktionäre, gibt die Unternehmensverwaltung an, sie würde bei allen Projekten Bewertungen durchführen. An dieser Stelle stellt sich unweigerlich die Frage: welche Standards liegen hier überhaupt zu Grunde? Es ist seit Jahren allgemein bekannt, dass Samarco ein äußerst schlechter Geschäftspartner ist. Denn Samarco operiert seit Jahren jenseits des legalen Rahmens.

Einen Notfallplan für einen Dammbruch gab es nicht, obwohl der kritische Zustand des Auffangbeckens seit 2013, durch einen Gutachter bestätigt wurde. Der Santarém-Damms an der Mine Germano wird außerdem, nach Angaben der Umweltbehörde von Minas Gerais, seit Mai 2013 illegal betrieben.

Geschäfte mit dubiosen Geschäftspartnern. Ist das der Veränderungsprozess, den Sie in diesem Unternehmen herbeiführen wollen, Herr Dr. Hiesinger?

Aus diesem Grund, bitte sagen Sie uns Aktionärinnen und Aktionären:

1.Kauft / handelt / oder bezieht Thyssen-Krupp Pellets des Unternehmens Samarco? Wenn ja, in welcher Menge und in welchen Zeiträumen?

Wenn aktuell derzeit nicht mehr, bis wann in der Vergangenheit bezog ThyssenKrupp in welcher Menge in welchem Zeitraum Erz(pellets) von Samarco?

2.In welcher Form und in welcher Quantität sind Pellets oder Subprodukte aus der Samarco- Produktion in allen Standorten Thyssen-Krupps weltweit zu finden?

3.Samarco plant eine dritte Pipeline und eine fünfte Pelletierungsanlage im Bundesstaat Espirito Santo/Brasilien. Sind Kooperationen, Lieferaufträge zwischen Thyssen-Krupp und dem besagten Unternehmen bereits im Gange oder geplant?

4.Haben Sie und Ihr Vorstand, nun drei Monate nach der Umweltkatastrophe, jemals an eine Kondolenzbotschaft an die Opfer gedacht?

Zu Ihren Sorgfaltspflichten gehört die Pflicht zu untersuchen, welche Risiken für Menschenrechte und Umwelt durch die Tätigkeit der Zulieferbetriebe entstehen.

Sehr geehrte Vorstände und Aufsichtsräte, die Unternehmensleitung soll, in Anbetracht des Umweltdesasters in Brasilien, veranlasst werden, Risiken, die durch Lieferanten, Abnehmer bzw. Kunden, für Menschen und Umwelt entstehen, präventiv entgegenzuwirken. ThyssenKrupp ist aufgrund seiner Marktmacht vollkommen in der Lage, durch die Gestaltung der Lieferbedingungen, soziale und ökologische Auswirkungen der Produktion zu beeinflussen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!