Brasiliens Indigene informieren UN-Sonderberichterstatterin über die Situation von Menschenrechtsverteidiger:innen in Brasilien
Derzeit tagt der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, wegen der Pandemie größtenteils virtuell. Dennoch sind die Treffen für die zivilgesellschaftlichen Organisationen von enormer Bedeutung, um auf die brenzlige Situation der Menschenrechte aufmerksam zu machen. Nachdem bereits vergangene Woche der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Michael Fakri, über die verheerenden Verletzungen der Ernährungssouveränität und -sicherheit in Brasilien wegen der Pandemie und der gezielten Untätigkeit der rechtsextremen Regierung von Jair Bolsonaro von zivilgesellschaftlichen Organisationen Brasiliens in Kenntnis gesetzt wurde, steht für diesen Montag, 8. März, die Teilnahme der jungen Indigenen Sthefany Tupinambá am Interaktiven Dialog mit der Sonderberichterstatterin über die Situation von Menschenrechtsverteidigern, Mary Lawlor, an. Die Veranstaltung begann am Freitag, dem 5. März, und wird heute als Teil des Terminkalenders der indigenen und indigenistischen Organisationen in der 46. ordentlichen Sitzung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen fortgesetzt. Dies berichtet der Indigenenmissionrat CIMI auf seiner Webseite.
Bei dieser Gelegenheit wird Sthefany Tupinambá, die aus dem Dorf Serra do Padeiro der Terra Indígena Tupinambá de Olivença im nordostbrasilianischen Bundesstaat Bahia stammt, der Sonderberichterstatterin die Schwächen des brasilianischen Programms zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen darlegen. Diese von der Regierung Bolsonaro umgesetzte Politik gefährde das Leben und den Kampf der indigenen Völker und traditionellen Gemeinschaften in Brasilien, so CIMI in einer Voraberklärung. Zu den am meisten gefährdeten Personen gehören demnach Menschenrechtsverteidiger:innen, die sich für die Umwelt, die Verteidigung von Land und traditionellen Territorien einsetzen. Zudem gebe es noch immer sehr viele Fälle, in denen die Behörden und Regierungen von Bundes-, Landes- und Kommunalebenen den indigenen Gemeinden Geschäftsprojekte ohne deren freie, vorherige und informierte Zustimmung aufzwängen. Die konkrete Bedrohungslage für Menschenrechtsverteidiger:innen, die von bewaffneten Milizen, privaten Sicherheitsdiensten und von angeheuerten Killern mit dem Tode bedroht werden, nehme zu, so CIMI. Viele der Täter:innen seien, so CIMI, Angehörige der repressiven Staatsorgane wie Militär- und Zivilpolizei.
Für den Indigenenmissionsrat CIMI ist der Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen eng mit der Verteidigung und dem Schutz traditioneller Territorien, ihrer Menschen und Lebensweisen verbunden. Die Bolsonaro-Regierung weist die seit den 1990er geringsten Ausweisungen (Demarkationen) indigener Territorien auf. Ganze 0 ("Null") indigene Territorien hat Bolsonaro ausgewiesen. Damit setzt er seine Ankündigung um, die er vor seiner Wahl getätigt hatte, nämlich den Indigenen "keinen Zentimeter Landes mehr" zu geben. Düster steht es auch um die Agrarreform. Im Rückblick der vergangenen 25 Jahre war es vor allem die Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva, die die Agrarreform in Brasilien zahlenmäßig am meisten voranbrachte. Zwar erreichte auch die Regierung von Fernando Henrique Cardoso (1995-2002) in den Jahren 1997 und 1998 Höchstwerte mit 81.944 bzw. 101.094 angesiedelten Familien, denen im Rahmen des staatlichen Agrarreformprogramms Land zugesprochen wurde, doch die historischen Spitzenwerte bei der Agrarreform erreichte die Lula-Regierung (2003-2010) in den Jahren 2005 (127.506 Familien) und 2006 (136.358 Familien). Während der Regierung von Dilma Rousseff oszillierten die Zahlen der Ansiedlungen im Rahmen der Agrarreform zwischen vergleichsweise bescheidenen 22.012 Familien (2011) und 32.019 Familien (2014). Während der Temer-Regierung reduzierte sich die Agrarreformzahlen weiter drastisch, bevor sie gegenwärtig unter Bolsonaro zum Stillstand gekommen sind.
Unter Bolsonaro spitzen sich auch die Landkonflikte zu. Oft äußern sich die illegal goldschürfenden und holzschlagenden Täter:innen unverhohlen, nun sei doch "ihr Hauptmann" Bolsonaro Präsident und er habe zugesagt, er werde ihnen – den Gold suchenden garimpeiros, den Tropenholz illegal schlagenden madeireiros, den mit bewaffneten Killern ausgerüsteten Großfarmer:innen – zu "ihrem Recht" verhelfen. Gepaart mit einer fortschreitenden Liberalisierung des Waffen- und Munitionsbesitzes im Lande entwickelt sich eine zunehmend explosive Mischung. Bolsonaros präsidiale Narrative schaffen Gewalt.
Derweil betreibt die Bolsonaro-Regierung gezielt eine schleichende Entmachtung der Indigenenbehörde Funai und der Umweltbehörde Ibama, indem sie fähige Mitarbeiter:innen durch Bolsonaro-freundliche Militärs oder Evangelikale austauscht. Außerdem kürzt sie diesen Behörden Gelder und verlagert deren Kompetenzen auf andere, ihm und seinem Machtapparat willfährigere Staatsorgane. Hinzu kommt Bolsonaros Plan, die indigenen Territorien künftig für Bergbau, Landwirtschaft und Energie- und Staudammprojekte freizugeben. Die Bilder von großflächiger Zerstörung in Amazonien – sei es durch gezielt gelegte Brände, sei es durch Holzfäller:innen, sei es durch die Goldsuche, sei es durch Infrastrukturbauten, sei es durch Staudämme – geben beredtes Zeugnis darüber, dass es bei Bolsonaro nicht mehr wie bei Lula und Dilma um einen in Kauf genommenen Gegensatz von "Entwicklung" und "Umwelt" geht, sondern vielmehr um eine gezielte Zerstörung und rücksichtlose Ausbeutung der "Umwelt".