Dokumentation: Neue Entwicklungen im Fall VW do Brasil und die Militärdiktatur

KoBra dokumentiert hier die Stellungnahme des Arbeiterforums für Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung, das am 22. September 2015 in Brasilien die Anzeige bei der Bundesstaatsanwaltschaft gegen VW do Brasil eingereicht hatte, um die Verstrickungen der Firma in die brasilianische Militärdiktatur vor Gericht untersuchen zu lassen.
| von Fórum de Trabalhadores por Verdade, Justiça e Reparação, Übersetzung: Laura Burzywoda
Dokumentation: Neue Entwicklungen im Fall VW do Brasil und die Militärdiktatur
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Stellungnahme des Arbeiterforums für Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung in Brasilien zur Bekanntgabe von VW in Deutschland, die Untersuchung der Unternehmensverantwortung bei Verbrechen gegen Werksarbeiter während der brasilianischen Diktatur in Auftrag zu geben.

 

Übersetzung: Laura Burzywoda

 

Die neue alte Politik von Volkswagen, ihre Verstrickung in die [brasilianische] Diktatur zu erklären

 

Volkswagen in Deutschland tauscht den Historiker inmitten einer Polemik bezüglich der Verantwortung des Unternehmens im Nationalsozialismus, aber hält Stillschweigen über die Ermittlungen der [brasilianischen] Staatsanwaltschaft, die das Verhalten ihrer Filiale bei der Repression der Arbeiter während der brasilianischen Militärdiktatur untersucht.

Am 22. Oktober verbreiteten die Medien die Trennung des Konzerns in Deutschland von seinem unternehmensinternen Historiker, Manfred Grieger. Grieger, der zusammen mit Hans Mommsen das Buch Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich geschrieben hatte - Referenzwerk über die Nazivergangenheit des Unternehmens - wurde dargestellt als unabhängiger Historiker, der sich gegen das Unternehmen erhob. Dabei wurde das Verhalten, das er kürzlich in Brasilien und Deutschland zeigte, ausgelassen. Die Irritation über die Trennung Manfred Griegers und der Ausdruck der Solidarität von deutschen Intellektuellen, die sich gegen die Brutalität des Konzerns wendeten, löste eine Nachrichtenwelle in verschiedenen Ländern aus.

Einen Tag später erklärte Volkswagen die Beauftragung des anerkannten Historikers Christopher Kopper der Universität Bielefeld mit der Untersuchung der Verantwortung des Unternehmens in den Fällen von Folter, Überwachung, Repression und Verfolgung der Arbeiter, die innerhalb der Volkswagen-Fabrik in São Bernardo do Campo stattfanden. In den Medien wird bestätigt, dass Herr Kopper eine Frist von einem Jahr habe, um einen Bericht zu erstellen, indem er die Ergebnisse seine Nachforschungen darstellen soll.

Es ist nicht das erste Mal, dass das Unternehmen vor der Presse eine Haltung zeigt, die nicht zu seinem Verhalten bezüglich des Falles passt.

Schildern wir einige Elemente, die zeigen, wie das multinationale Unternehmen bisher mit den Vorwürfen bezüglich seiner aktiven Verstrickung mit der politischen Repression der Arbeiter während der Diktatur - die, mit einer Reihe von Handlungen, weit über die Erstellung von “schmutzigen Listen” und den Festnahmen innerhalb der Fabrik hinausgehen - umgegangen ist.

Volkswagen und fünf weitere Unternehmen des Bundesstaates São Paulo wurden offiziell eingeladen, bei einer Anhörung der bundesstaatlichen Wahrheitskommission Rubens Paiva zu erscheinen, in der die Verwicklung der Konzerne mit der Diktatur thematisiert werden sollte. Am 27. Februar 2015 wurde der Autobauer von Rogério Varga, Mitarbeiter der Rechtsabteilung, repräsentiert. Bei diesem Anlass wurde vereinbart, dass jegliche Kommunikation zwischen dem Unternehmen und den anklagenden Arbeitern über die bundesstaatliche Wahrheitskommission und, nach ihrer Beendigung, über die Bundesstaatsanwaltschaft (Ministério Público Federal) laufen solle.

Manfred Grieger war die einzige mit dem Unternehmen in Verbindung stehende Person, die im Anschluss daran den Kontakt zu den Arbeitern suchte.

Am 24. April 2015 wurde die Vereinbarung gebrochen, als Arbeiter vom Unternehmen gestempelte Briefe per Post erhielten, in denen sie eingeladen wurden, an individuellen Gesprächen mit Manfred Grieger im Hotel Mercury, in Santo André, teilzunehmen, mit dem Ziel “sie anzuhören über ihre persönliche Erfahrung während der Militärdiktatur in Brasilien”. Volkswagen schickte sogar Autos, um diejenigen, die weiter weg wohnten, abzuholen. In einer Besprechung mit den Leitern der städtischen Wahrheitskommission in São Bernardo do Campo, dem Stadtrat José Ferreira, und der bundesstaatlichen Wahrheitskommission Rubens Paive, dem Abgeordneten Adriano Diogo, entschieden die Metallarbeiter, keine individuellen Gespräche oder Absprachen anzunehmen.

 

Der Antrag gegen Volkswagen bei der Bundesstaatsanwaltschaft

Am 22. September 2015 nahm die Bundesstaatsanwaltschaft einen Antrag vom Arbeiterforum für Wahrheit, Gereichtigkeit und Wiedergutmachung (Fórum de Trabalhadores por verdade, justiça e reparação) entgegen, der von den zehn brasilianischen Gewerkschaftsverbänden, Leitern von Wahrheitskommissionen und Juristen unterzeichnet worden war. Der Antrag hatte den Beginn einer - sich aktuell im Prozess befindlichen - zivilen Ermittlung zur Folge, die das Verhalten des Unternehmens aufklären soll.

Im Oktober [2015] suchte Grieger den Kontakt zum IIEP, dem Sekretariat des Arbeiterforums für Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung, um den Dialog über den Antrag aufzunehmen. Am 13. Oktober fand er sich zu einem informellen Gespräch in der Niederlassung der Bundesstaatsanwaltschaft in São Paulo ein, begleitet von Jörg Köther, vom VW-Betriebsrat. Beide empfingen eine Kopie des kompletten Antrags inklusive Anhang. Arbeiter erhielten erneut Einladungen zu individuellen Gespächen mit dem Historiker per E-Mail, zu denen diese nicht erschienen.

Am 1. November 2015 veröffentlichte die Zeitung O Estado de S. Paulo einen Artikel auf mit dem Titel “Volkswagen will für Unterstützung der Diktaturrepression entschädigen”. Die Schlagzeile betrifft die Position Manfred Griegers, die er in einer E-Mail an den Journalist des Artikels, Marcelo Godoy, äußerte. Der Vorschlag [der Entschädigung] wurde allerdings niemals der Bundesstaatsanwaltschaft vorgelegt, weder durch den Historiker, noch durch die Anwälte, die die Ermittlungen begleiten.

 

Eine neue Vorgehensweise?

Laut Medien beschränkte sich Christopher Kopper von der Universität Bielefeld bei der Annahme der Forschungen darauf, aus dem Abschlussbericht des Nationalen Wahrheitskommission zu zitieren, der im Dezember 2014 eingereicht wurde.

Kopper bestätigte, dass er erneut “die Kritik der Kommission an Volkswagen”, die “bisher bekannt gewordenen Fälle der politischen Repression” prüfen werde und herausfinden wolle, “ob das Unternehmen generell von der Diktatur profitiert” habe. “Ich will darüber hinaus kommen, was Historiker bereits erforscht haben.” (1) Er unterstrich zudem, dass er komplett unabhängig sei, sowohl in der Forschung als auch bezüglich des Inhalts des abschließenden Berichts.

Der Historiker bestätigte, dass er nach Dokumentation zu der brasilianischen Diktatur in den Archiven des Mutterkonzerns in Wolfsburg suchen werde und dass er im nächsten Jahr nach Brasilien komme, um die Forschung fortzuführen. Er gab an, die volle Unterstützung von Volkswagen zu haben, um die gefundenen Dokumente zu übersetzen und dass die Forschung über die Unternehmensvergangenheit in Brasilien rund ein Jahr dauern werde und dass die Ergebnisse in einem Bericht veröffentlicht werden, der von Volkswagen verbreitet werden soll. Die Ermittlungen des Bundesstaatsanwaltschaft wurden nicht erwähnt.

Der Historiker kündigte auch an, ehemalige Arbeiter zu interviewen und so offensichtlich die bisherige Vorgehensweise des Unternehmens fortzusetzen.

 

Der notwendige Dialog

Da die Nachrichten noch sehr neu sind, warten wir auf eine Stellungnahme des Unternehmens, um zu erfahren, ob es eine Veränderung bezüglich der institutionellen Haltung gibt. Seit der Anhörung der Wahrheitskommission Rubens Paiva am 27. Februar 2015 äußerte Volkswagen do Brasil kein einziges Kommentar, keine Meinung oder Positionierung zu den Vorwürfen, die im Verfahren laut wurden.

Der Betriebsrat forderte vom Mutterkonzern Erklärungen zu dem Fall.

Die Schritte zur Fortführung im Bereich der Erinnerung, Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung im Fall VW müssen unter Vermittlung der Bundesstaatsanwaltschaft und innerhalb des laufenden Ermittlungsverfahrens der Staatsanwälte laufen.

Die Dokumentation des Ermittlungsverfahrens ist bei der Bundesstaatsanwaltschaft in São Paulo für Interessierte komplett öffentlich zugänglich.

 

Erstellt durch IIEP (Intercâmbio, Informações, Estudos e Pesquisas), ausführendes Sekretariat (Kontakt: secretaria@iiep.org.br - +55 (11) 97110-2474)

 

1) Alle Zitate Rückübersetzung aus der Stellungnahme