Forum 4
Input: Taina Mansani (Revista Forum)
Moderation: Yôko Woldering (KoBra) | Protokoll: Tobias Schmitt (KoBra)
Vorstellungsrunde: Welche Stereotypen begegnen wir immer wieder? Was sind unsere Vorstellungen / Erwartungen für den Workshop?
Input: Eine kurze Geschichte der Brasilien-Klischees
Es gibt kaum Brasilien-Berichte (auch bei der Berichterstattung über die Proteste), die ohne eines der Klischees (schöne Menschen, Fußball etc.) auskommen. Woher kommen die Bilder?
1808: Portugiesischer Königshof flüchtet nach Rio de Janeiro => Zahl der Brasilien Reisenden aus Europa steigt an, Forscher, Berichterstatter… Bilder in Europa über Brasilien entstehen; ihnen gemeinsam ist eine eurozentrische Sichtweise: Im Mittelpunkt steht dabei oft die Natur als Kern der Repräsentation, die Tropen als Kontrast zur industriellen Revolution und der Verwüstung der Landschaft in Europa.
=> Sehnsuchtsort Brasilien
Sklaverei: wurde dabei kaum dargestellt, Sklaven wurden eher zwischen den Landschaften versteckt oder als etwas Exotisches dargestellt, oftmals pittoreske Porträts der Sklaven, keine Thematisierung von Menschenrechten
=> Bild Brasiliens als Naturparadies
Brasilien als Land der Zukunft; Stefan Zweigs Buch wird in viele Sprachen übersetzt, übertriebenes Bild einer harmonischen Gesellschaft, Frage der Rassenzugehörigkeit schien überwunden, freie und ungehemmte Durchmischung, völlige Gleichstellung etc. <=> Diktatur Vargas wird nicht erwähnt,
Hintergrund: 2. Weltkrieg, besonderer historischer Kontext & eigener Hintergrund Zweigs als jüdischer Schriftsteller, Widersprüche bleiben jedoch unthematisiert
Gilberto Freyre: Rassendemokratie; democracia racial, casa-grande e senzala, Beschreibung der gesellschaftlichen & historischen Wurzeln der Rassendemokratie, stereotype Vorstellung über brasilianische Frau: Unterwerfung, Fügsamkeit, Sanftheit & Klarheit der Gefühle => Durchmischung v.a. aus der Beziehung zw. Sklavin & Hausherr hervorgegangen, dabei wird jedoch das Unterdrückungsverhältnis ignoriert, Glaube & Toleranz an eine positive Durchmischung = Art des Rassismus
Florestan Fernandes: Kritik an Gilberto Freyre, Kritik an direkter Verbindung schwarzer Frauen mit Sexualität & Armut
Militärdiktatur / milagre brasileiro: Wirtschaftswachstum für alle,
beste Seleção aller Zeiten, Fußballwunder,
auch heute wirbt die Reisebranche: fröhliche Frauen, Fußballbilder, glücklich & konfliktlos, Naturparadiese,
Proteste: Stereotyp: Land der Fußballfanatiker, Pele: „Wir sollten die Verwirrung vergessen, die in Brasilien herrscht und daran denken, dass die brasilianische Nationalmannschaft unser Land unser Blut ist“ (!) ó Fußball auch Teil der sozialen Ungleichheit, unser Blut???
Gruppenarbeit:
Auswertung von Brasilienbildern in Zeitungsartikeln, Fernseh- und Radiobeiträgen
einige Themen:
- häufige Thematisierung von Gewalt,
- 7cent Fahrpreiserhöhung – oftmals schwer nachvollziehbar,
- Lob für die Reife der Demokratie
- im Gegensatz zu Deutschland & Südafrika haben es die Brasilianer_innen geschafft, sich gegen die FIFA aufzulehnen eurozentrischer Blick: Begriffe wie Wutbürger etc. aus deutschen Kontexten werden verwendet – Vergleichbarkeit?
- welche Perspektive wird eingenommen? Herrschaftsperspektive – das „Volk“ muss nun wieder besänftigt werden
- Perspektive der Leute, die eine Verbesserung der Zustände herbeiführen wollen, wird nicht eingenommen
- oftmals Essentialismus - Erklärung aus den „Charaktereigenschaften der Brasilianer_innen“ an sich! Fußball, Bewegungen liegen ihnen im Blut…
- häufige Erwähnung der exotischen Natur, der schönen Strände
- was wird nicht erwähnt, was verschwiegen und somit auch zum Verschwinden gebracht? z.B. Beitrag über Unternehmer_innen – Frauenbewegungen wird komplett verschwiegen…
Siehe auch:
- Tainã Mansani: Aufstand im Paradies – Brasilien, Medien und Proteste. In: Brasilicum 230. Jetzt bestellen
- Thomas Fatheuer: Fußball und nationale Identität. Zum Artikel
- Sarah Lempp: Schönfärbendes Weißwaschen. Das postkoloniale Brasilien ist keineswegs eine egalitäre Regenbogennation. In: Brasilicum 231. Jetzt bestellen