Der Fluss Tapajós – Energieproduzent und Quecksilberquelle?!
Von Michaela Meurer und Williane Aguiar
Das Ministério Público Federal (MPF), ein Organ des brasilianischen Staates ähnlich der Staatsanwaltschaft in Deutschland, setzt sich regelmäßig für Belange der Bevölkerung ein und zwar immer dann, wenn die in ihren Rechten beschnitten zu werden droht. Dies ist nun auch bei den geplanten Wasserkraftwerken am Fluss Tapajós im Westen des Bundesstaates Pará der Fall.
Das Kraftwerk São Luíz do Tapajós soll am mittleren Flusslauf, oberhalb der Stadt Itaituba gebaut werden und ist Teil eines weitaus größeren Projektes. Insgesamt sieht die Regierung in ihrem Programm zur Wachstumsförderung (PAC) sieben solcher Kraftwerke mit über 40 Staudämmen vor und damit gleichzeitig die Umwandlung des Flusses in eine Wasserstraße, die für den Transport von Soja und Getreide aus dem südlich gelegenen Bundesstaat Mato Grosso schiffbar gemacht würde.
Unstimmigkeiten und Fehler in der Umweltverträglichkeitsprüfung
Im August 2014 hat der halbstaatliche Energiekonzern Eletrobras die Ergebnisse der bereits im Vorfeld kritisierten Umweltverträglichkeitsprüfung an die zuständige Umweltbehörde Ibama übergeben. Diese Studie ist Teil des Lizenzierungsprozesses, den solche Großprojekte vor ihrer Umsetzung durchlaufen müssen. Nun aber haben zahlreiche Wissenschaftler*innen und auch die Umweltbehörde selbst massive Kritik geäußert.
Um die Öffentlichkeit hierüber zu informieren, hat der Staatsanwalt Luís de Camões Lima Boaventura nun vergangene Woche zu einer öffentlichen Anhörung in Santarém eingeladen. Auf der Bühne versammelten sich zahlreiche Spezialist*innen wie der Nobelpreisträger Philippe Fearnside sowie lokale Autoritäten der direkt betroffenen Gemeinde; vor der Bühne wiederum interessierte Bürger*innen der Region – für alle überraschend war der Saal berstend voll, die Menschen standen bis auf die Straße hinaus. Auch an staatliche Organe wie die Indigenenbehörde FUNAI, die Umweltbehörde Ibama, das Institut für Umweltschutz ICMBio und das Ministerium für Bergbau und Energie MME sowie an den Energiekonzern Eletrobras gingen Einladungen. Erschienen sind sie jedoch nicht.
Sozial, kulturell und ökologisch unverträglich
Die Studien, deren Ergebnisse im Rahmen der Anhörung präsentiert wurden, weisen eine Reihe von Unregelmäßigkeiten, Fehlern und Lücken im Bericht der Umweltverträglichkeitsprüfung nach. So war weder die zugrunde liegende Methodik für eine Bemessung der Auswirkungen des Baus angemessen, noch wurde in Betracht gezogen, dass sich die Folgen mit denen der weiteren 42 Dämme addieren werden. Auch die kulturelle Bedeutung der indigenen Gebiete und archäologischen Stätten, die durch den Stausee geflutet werden würden, fanden keine Beachtung. Der Staatsanwaltschaft weist darauf hin, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung von den neun am Bau interessierten Firmen finanziert wurde. Gegen acht dieser neun Unternehmen laufen momentan Ermittlungen im Kontext des Korruptionsskandals mit der Regierung („Operação Lava Jato“).
Der Neurochirurg Dr. Erik Jennings hält vor allem den Anstieg von Quecksilberbeständen im Wasser der Stauseen für höchst bedenklich. Durch die Veränderung des Sauerstoffgehalts im Zuge der Stauung werden große Mengen dieses giftigen Elements freigesetzt, die über Fisch – eines der Hauptnahrungsmittel der Bevölkerung in der Region – auch für den Menschen problematisch sind und massive Langzeitfolgen haben werden.
Dabei ist eine Investition in solche Großprojekte für Wasserkraft nicht einmal energietechnisch sinnvoll. “Brasilien braucht keine Wasserkraftwerke, wir brauchen nicht mehr Energie”, betont Prof. Célio Bermann vom Institut für Energie und Umwelt der Universität São Paulo. Nachhaltiger und ökonomisch sinnvoller wäre es, die vorhandene Energie effizienter zu nutzen, denn noch immer gehen 25% ungenutzt verloren. Und anstatt in Großprojekte sollte in kleine, lokale Formen nachhaltiger Energiegewinnung investiert werden.
Aus Erfahrungen lernen
Die Staatsanwältin Thais Santi vom Ministério Público Federal hat die Proteste um den Bau des Riesenstaudamms Belo Monte in der Nachbarstadt Altamira begleitet und hofft, dass die Zivilgesellschaft am Tapajós aus den Erfahrungen lernen wird. Altamira ist heute in einer Situation, die weder für Mensch noch für Umwelt tragbar ist. Die Landbevölkerung, vor allem indigene Gruppen, wurden verdrängt, die Stadtbevölkerung hat sich in kürzester Zeit verdoppelt, was steigende Nahrungsmittelpreise, Armut und Prostitution mit sich brachte. Und der gewonnene Strom kommt – wie dies auch im Fall der Kraftwerke am Tapajós sein wird – nicht den Menschen vor Ort zugute, sondern wird für Industrie und Abbau von Rohstoffen genutzt. Vor allem warnt die Staatsanwältin vor falschen Versprechungen der Regierung, welche die Umsetzung von Sozialprogrammen in Aussicht stellt. Doch der Zugang zu diesen Programmen ist ohnehin grundlegendes Recht der Bevölkerung und darf kein Tauschgegenstand für den Bau der Kraftwerke werden.
Wenn es um den Widerstand gegen das Kraftwerk geht, werden zuallererst immer die Munduruku genannt, eine indigene Gruppe deren Land vom Stausee geflutet werden würde und die seit Jahren gegen den Bau protestiert. “Doch dieser Kampf ist nicht allein der der Munduruku”, betont Cacique Arnaldo Kabá, “wir alle werden betroffen sein, das ist UNSER Kampf!”
Das riesige Interesse der Zivilgesellschaft an der öffentlichen Anhörung zeigt, dass viele das heute so sehen. Die sozialen Bewegungen gegen den Kraftwerkbau scheinen weiterhin klein.
Andererseits erschienen plötzlich unerwartet viele Menschen bei der Anhörung, renommierte Wissenschaftler*innen unterstützen die Kritik, das Ministério Público Federal plant weitere öffentliche Anhörungen, sogar international werden Unterschriften gesammelt... Können dies erste Schritte sein auf dem langen Weg, den Bau dieses Großprojektes tatsächlich zu stoppen?