Verfassungsklage gegen das "Giftpaket" 14.785 in Brasília eingereicht

Parteien, Gewerkschaften, NGOs und soziale Bewegungen reichen gemeinsam Verfassunsklage gegen das "Giftpaket" ein, das Ende 2023 von beiden Kammern des Brasilianischen Nationalkongresses verabschiedet worden war und das Präsident Lula zum Teil annahm, dabei aber in einigen Punkten sein Veto einlegte, welches am 9. Mai von den beiden Kammern des Nationalkongresses wieder gekippt worden war, so dass nun das Gesetz des Giftpakets 14.785 erstmal in Gänze gilt. Dies wollen die sozialen Bewegungen ändern.
| von Christian.russau@fdcl.org
Verfassungsklage gegen das "Giftpaket" 14.785 in Brasília eingereicht
Foto: christian russau (2016)

Brasilien ist wiederholter Weltmeister, doch dies ist ein weniger rühmlicher Titel - "Brasilien ist das Paradies der Agrargifte".  Dies lässt auch bei aus Deutschland stammenden Unternehmen wie Bayer und BASF die Kassen klingeln, denn in Brasilien wird es angesichts eines vom Agrobusiness dominierten Nationalkongresses nun noch leichter, neue Agrargifte legalisiert auf den Markt, auf die Felder, auf die Wiesen und in die Wälder zu bekommen - mit allen ökologischen und gesundheitlichen Folgen für Mensch, Tier und Flora in unmittelbarer (oder durch Luftabtrieb oder Gewässerlauf und -drift in mittelbarer) Nähe.

Das Gesetz 14.785/2023, das als „Giftpaket“ bekannt ist, ist seit gestern Gegenstand einer direkten Verfassungsklage (ADI), die am Mittwoch (14.8.2024) von der Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL), der Partei REDE sowie der Arbeiter:innenpartei PT, des Gewerkschaftsdachverbands Central Única dos Trabalhadores (CUT) und der Nationalen Konföderation der Lohnarbeiter im ländlichen Raum (Confederação Nacional dos Trabalhadores Assalariados e Assalariadas Rurais - Contar) beim Bundesgerichtshof (STF) eingereicht wurde. Darüber berichten u.a. die beteiligte NGO Terra de Direitos sowie Medien wie Globo und Brasil de fato.

Die Verfassungsklage wurde erarbeitet in Zusammenarbeit und mit Unterstützung durch soziale Organisationen und Basisbewegungen. Zu diesem Zweck haben Organisationen der Zivilgesellschaft wie Terra de Direitos, Campanha Permanente contra os Agrotóxicos e Pela Vida, Fian Brasil, Instituto Preservar und Federação dos Trabalhadores Rurais Agricultores e Agricultoras Familiares do Estado do Maranhão (Fetaema) Ressourcen, Kenntnisse und Daten zur Verfügung gestellt, um die Ausarbeitung der Verfassungsbeschwerde zu unterstützen. Die genannten Organisationen haben beim Obersten Gerichtshof zudem Amicus Curiae-Status beantragt.

In der Klage weisen die Kläger darauf hin, dass das Gesetz gegen verfassungsrechtliche Grundsätze verstößt wie etwa Rechtmäßigkeit und Effizienz, sowie gegen die Rechte auf eine ökologisch ausgewogene Umwelt, gegen die Rechte auf Gesundheit, gegen die Rechte indigener und weiterer traditioneller Völker, gegen das Recht auf ein Leben in Würde, gegen Verbraucher-, Kinder- und Jugendlichenrechte. In Anbetracht der schwerwiegenden Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit fordern die Verfasser:innen der Ação Direta de Inconstitucionalidade (ADI) vom Obersten Gerichtshof eine schnell aufschiebende Wirkung als Vorsichtsmaßnahme, d.h. die Aussetzung der Auswirkungen des Gesetzes, bis die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift geprüft worden ist.

Jakeline Pivato von der Campanha Permanente Contra os Agrotóxicos e Pela Vida erklärt in der Pressemitteilung der Organisationen, dass das Gesetz den tatsächlichen Gesundheits- und Umweltbedürfnissen zuwiderläuft, auf die die organisierte Zivilgesellschaft in der Vergangenheit wiederholt mit Nachdruck hingewiesen habe. "Ein Gesetz zu flexibilisieren, indem man es für den Schutz von Mensch und Umwelt untauglich macht, bedeutet, den Tod zu fördern. In der Vergangenheit haben Bewegungen, Organisationen und die Zivilgesellschaft die Auswirkungen von Pestiziden in Brasilien angeprangert. Das Giftpaketgesetz fügt einer bereits tragischen Realität noch mehr gefährliche Produkte hinzu. Außerdem schränkt es die Handlungsfähigkeit unserer Regulierungsbehörden wie Anvisa und Ibama ein. Wir verurteilen daher die Tatsache, dass dieses Gesetz das Recht auf gesunde Lebensmittel, auf eine nachhaltige Umwelt und das Recht auf Gesundheit der brasilianischen Bevölkerung untergräbt. In diesem Sinne kämpfen wir weiter für [die Erklärung der Verfassungswidrigkeit [dieses Gesetzes]", sagte Pivato.

Der ehemalige Senator Blairo Maggi (PP-MT), der (auch in Deutschland) als "Sojakönig" bekannt ist, hatte den Gesetzesentwurf mit intensiver Lobbyarbeit der Agrarindustrie durchgebracht, wogegen die brasilianische Zivilgesellschaft früh mobilisiert hatte. Doch die parlamentarische Front für Landwirtschaft und Viehzucht (FPA) hatte sich sehr stark dafür eingesetzt und mit ihrer Kongressmehrheit (47 von 81 Sitzen im Senat, in der Abgeordnetenkammer sind es 300 der 513 Abgeordneten) das Giftpaket Ende 2023 durchgesetzt und verabschiedet.

"Der Kongress, der hauptsächlich aus Vertretenden der Agrarindustrie besteht, hat Gesetze zu seinem eigenen Vorteil erlassen. Die Gesellschaft erwartet mit der Einreichung der ADI-Klage gegen das Giftpaket, dass die Gesetzgebung vom Obersten Gerichtshof im Hinblick auf andere Aspekte analysiert wird: Schutz der menschlichen Gesundheit, Respekt für die Umwelt und die biologische Vielfalt, die alle für die Entwicklung des Landes von grundlegender Bedeutung sind", sagte die Rechtsberaterin von Terra de Direitos, Camila Gomes.

Das Hauptargument der das "Giftpaket" befürwortenden Fraktion war, dass die Vorschriften zu aktualisieren seien, da die damals geltende Gesetzgebung die Genehmigung neuer Registrierungen zu sehr verhindere. Dabei hatte Brasilien in den letzten Jahren jedoch eine wachsende Zahl neuer Zulassungen für Agrarchemikalien erlebt - und dies nicht nur unter Bolsonaro. In dem Jahr, in dem das „Giftpaket“ verabschiedet wurde, gab es 555 Neuzulassungen. Die hohe Zahl unterscheidet sich nicht wesentlich von dem Jahresdurchschnitt von 545 Zulassungen während der Regierungszeit Bolsonaros, die mit insgesamt 2.182 Zulassungen einen neuen Rekord aufstellte. (KoBra berichtete).

Eine der wichtigsten Änderungen des Gesetzes 14.785 war die Zentralisierung des Themas im Ministerium für Landwirtschaft und Viehzucht (MAPA), einer stark von der Agrarindustrie beeinflussten Behörde. Das vorherige Gesetz sah ein dreigliedriges Modell vor, demzufolge das MAPA, die Nationale Gesundheitsaufsichtsbehörde (ANVISA) und das Brasilianische Institut für Umwelt und erneuerbare natürliche Ressourcen (IBAMA) gemeinsam auf der Grundlage technischer und wissenschaftlicher Kriterien die Freigabe oder das Veto von Pestizidregistrierungen und -kontrollen zu bewerten hatten. Nach dem neuen Gesetz fällt diese Aufgabe ausschließlich dem agrofreundlichen MAPA zu. Die anderen Stellen sind nur für die ergänzende Überprüfung der Analyse des Ministeriums zuständig. Mit anderen Worten, so die Analyse von Terra de Direitos: Die Bewertung der Gesundheits- und Umweltauswirkungen der Freisetzung bestimmter Pestizide kann nicht erfolgen, wenn sie nicht vom MAPA verlangt wird. Gegen die Zentralisierung der Zuständigkeiten beim MAPA hatte Präsident Lula sein Veto eingelegt, doch im Mai dieses Jahres hob der Kongress das Veto auf. Neben der Zentralisierung der Freigabe von Pestizidregistrierungen bei der MAPA und der Missachtung der Umwelt- und Gesundheitsbehörden bringt das neue Gesetz weitere Nachteile gegenüber dem vorherigen Gesetz mit sich, wie z. B. eine vagere Definition der Kriterien für ein Veto gegen die Registrierung von Pestiziden mit einem höheren Toxizitätsgrad, die Aufhebung einer Reihe von Vorschriften über die Zahlung von Umweltgebühren, die Befreiung von der Registrierung von Pestiziden für Exportzwecke und andere Maßnahmen.

// Christian Russau