"Wir Fischer zahlen die Zeche"

Interview mit Nego da Pesca, dem Präsidenten der Kleinfischervereinigungen von Espírito Santo, über das generelle Fischereiverbot im Meer im Einflussbereich der Mündung des durch Samarco verseuchten Flussdeltas des Rio Doce.
| von Christian Russau
"Wir Fischer zahlen die Zeche"
Manuel Bueno, bekannt unter dem Namen Nego da Pesca. Photo: Christian Russau, Aracruz, ES.

Können Sie sich unsere Leser/innen bitte zuerst kurz vorstellen?
Mein Name ist Manuel Bueno, ich bin bekannt unter dem Namen Nego da Pesca. Ich bin Kleinfischer. Ich bin Präsident der Fischervereiniung von Jacaraibe, bin auch Präsident des Dachverbands der Fischervereinigungen des Bundesstaats Espírito Santo und ich bin Mitglied des nationalen Koordinationrates der Fischer Brasiliens.

Die Justiz hier in Espírito Santo hat vor kurzem den Fischfang im Meer im Einflussbereich der Mündung des durch Samarco verseuchten Flussdeltas des Rio Doce komplett verboten. Wie bewerten Sie das?
Die Staatsanwaltschaft hatte diesen Antrag gestellt. Sie holte Daten zur Wasserqualität im ganzen Einzugsgebiet des Deltas ein und entschied auf Basis dessen, bei Gericht die Einstellung der Fischerei zu erwirken. Das Gericht folgte dem Antrag und verbot die Fischerei in drei Munizipien: Aracruz, Linhares und einem Teil von São Mateus. Dieses Verbot reicht bis in die Gegenden mit einer Wassertiefe von 25 Meter. Dies heißt in Konsequenz, dass der Kleinfischerei de facto der Fischfang verboten ist. Dies betrifft also die ganzen Fischerboote dieser eigentlich sehr fischreichen Region, die bis in die südlicher gelegener Regionen Vila Velha und Serra bei Vitória reicht. Das Ganze betrifft auch das größte Fischlaichgebiet, das wir haben, sowie vor allem das ganze Gebiet des Garnelenfangs. Dadurch wurde also de facto der Garnelenfang im ganzen Gebiet komplett ausser Kraft gesetzt.

Die Richter sind dieser Argumentation gefolgt?
Ja, die Richter haben ein Urteil gefällt, in dem sie dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgten und den Fischfang in der ganzen Region verboten haben. Sie haben also uns Fischern den Fischfang untersagt, aber wir wurden nicht einmal konsultiert. Die Besprechungen und Entscheidungsprozesse haben sie nur unter sich geführt, ohne dass wir Fischer teilnehmen durften.
Das hat zu enorm viel Unruhe unter uns Fischern geführt, uns wütend gemacht, da braut sich nun aber ein existentieller Konflikt zusammen. Wir Fischer und vor allem die Garnelenfischer überlegen gerade, demnächst den ganzen Hafen von Vitória in einer Gemeinschaftsaktion zu blockieren. Wir mobilisieren gerade, um den Hafen für ein, zwei, drei Tage dicht zu machen. Denn das generelle Verbot muss wieder zurückgenommen werden, denn es kann nicht sein, dass wir Fischer de facto bestraft werden.

Verantwortlich für all das ist letztlich Samarco. Zahlt Samarco irgendeine Art von Entschädigung?
Samarco ist der Hauptverantwortliche für all das, aber es sieht danach aus, dass es wir Fischer sind, wir Fischer zahlen die Zeche. Wir sind Opfer, aber so wie es nun ausschaut, wirkt das fast so, als seien wir die Schuldigen. Die Verantwortlichen aber werden nicht belangt. Das Ganze war kein Unfall, das war ein Verbrechen. Meiner Ansicht nach war für die Verantwortlichen absehbar, dass der Damm brechen würde, aber nichts wurde gemacht, um das zu verhindern. Leben wurde zerstört, die Umwelt kaputt gemacht und die Arbeit der Gesellschaft ruiniert. Und die Ausmaße der Schäden werden von Tag zu Tag größer, sichtbarer, und wer am meisten davon betroffen ist, das sind die gesellschaftlich Schwächsten, wir Kleinfischer.

Wie sehen Sie das, dass einerseits ein Organ des Staats - die Justiz - die Fischerei im Mündungsdelta des Rio Doce aus Abwehr von Gefährdungen der Bevölkerung durch Verzehr von kontaminierten Fisch verbietet, ein anderes Organ des Staats - die zuständigen Behörden für Gewässersicherheit - erklären, das Wasser des Rio Doce sei als Trinkwasserquelle bei gleicher Behandlungen wir zuvor durch die lokalen Wasserversorgen bedenkenlos trinkbar?
Das ist die krasse Realität der Widersprüchlichkeiten. Denn die flächenmässige Ausdünnung der kontaminierten Sedimente ist im Meer ungleich größer als im zweiseitig begrenzten Flussbett des Rio Doce. Aber dort im Fluss bleibt alles beim Alten, Ende Februar lief das Fischfangverbot im Fluss aus, im Meer wird aber der Fischfang verboten. Wir sind aber nicht nur über unsere Existenz sehr besorgt, sondern über die Frage, 'wie werden wir die Qualität der Nahrungsmittelversorgung der brasilianischen Bevölkerung sicherstellen können?' Und die Behörden und Verantwortlichen für das Ganze halten noch immer die Daten über die Wasserqualität an den verschiedenen Stellen und Tiefenlagen zurück. Niemand sagt uns, 'ist es dort verseucht oder nicht?', aber da kommt dann auf einmal ein Gericht daher und verbietet uns von einem Moment auf den anderen den Fischfang dort. Das können wir einfach nicht nachvollziehen. Stattdessen laufen die Verantwortlichen frei herum, die von der Gefahr des Dammbruchs wissen mussten und nichts dagegen unternommen haben. Sie haben keinerlei Vorsichtsmaßnahmen getroffen, und es gibt da noch hunderte weitere solche Dämme, die jederzeit brechen können. Und selbst bis heute wurde nichts getan. Die Firma schleudert da noch immer durch den Dammbruch diesen Drecksschlamm in unseren Fluss. Das Verbrechen hält an. Wir Kleinfischer haben die Politiker gebeten, in aller Freundlichkeit, sich endlich um die Probleme zu kümmern. Die Politiker und Verantwortlichen aber interessieren sich einen Dreck für unsere Problemlagen, dabei sollten sie sich eigentlich grundlegende Gedanken darüber machen, wie gewährleistet werden kann, dass das Essen, das auf den Tisch der brasilianischen Bevölkerung kommt, auch gesundheitlich sicher ist. Das Risiko besteht, dass hier eine Krankheitsepidemie ausbricht, von deren Ausmaße und Charakter wir nicht die geringste Vorstellung haben.

Vielen Dank für das Gespräch.



Das Interview wurde am 17. März 2016 am Sitz der Ozeanographischen Forschungsstation der Bundesuniversität von Espírito Santo UFES im Munizip Aracruz, Espírito Santo, von Christian Russau geführt.