Erstattung Anzeige gegen Volkswagen in São Paulo wegen Kollaboration mit den Repressionsorganen der brasilianischen Militärdiktatur
Gestern um 16 Uhr (Ortszeit) wurde in São Paulo Anzeige gegen VW do Brasil wegen Kollaboration des Konzerns mit den Repressionsorganen der zivil-militärischen Diktatur in Brasilien (1964-1985) eingereicht. Die Anzeige wurde vom brasilianischen Menschenrechtskollektiv »Memória, Verdade, Justiça e Reparação« (»Erinnerung, Wahrheit, Gerechtigkeit und Reparation«), das sich aus Betroffenen, Gewerkschaftern, sozialen Bewegungen und Menschenrechtsgruppen zusammensetzt, bei der Staatsanwaltschaft von São Paulo erstattet. Das Kollektiv will mit dieser Anzeige den Staatsanwalt des Bundesstaats von São Paulo, Pedro Antônio de Oliveira Machado, bewegen, zivilrechtliche Ermittlungen gegen den Tochterkonzern des deutschen Autobauers einzuleiten.
Die Anzeige, die KoBra vorliegt, stützt sich auf Zeugenaussagen Betroffener, die diese vor den Wahrheitskommissionen getätigt hatten, sowie auf mehrere in Archiven aufgetauchte Fundstücke, die die Kollaboration von VW mit den Repressionsorganen belegen, die KoBra ebenfalls vorliegen. Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre hatte gemeinsam mit KoBra bereits auf den Hauptversammlungen 2014 und 2015 Volkswagen mit dem Vorwurf der Verstrickung in die brasilianische Militärdiktatur konfrontiert. »Volkswagen muss sich seiner historischen Verantwortung stellen und sich dazu bekennen. Dazu gehört aber neben einer Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit auch die Bitte bei den Betroffenen um Entschuldigung sowie eine deutliche Entschädigung der Opfer«, fordert Christian Russau, Vorstandsmitglied des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre und langjähriges KoBra-Mitglied.
Bei den Vorwürfen gegen VW do Brasil geht es vor allem um vier Tatbestände.
1) Mitarbeiter von Volkswagen wurden in den »bleiernen Jahren« Brasiliens, in denen die Repression der Militärdiktatur am brutalsten war, am Arbeitsplatz verhaftet, geschlagen und verprügelt, dies geschah laut Betroffenenaussagen unter Aufsicht und Mitwirkung von VW-Sicherheitspersonal. Vom Betriebsgelände wurden die Betroffenen direkt ins Folterzentrum DOPS verbracht, wo sie oft mehrwöchige Folter erleiden mussten. Einer dieser Folterer war der berüchtigste und brutalste der brasilianischen Militärdiktatur, Sérgio Paranhos Fleury.
2) VW do Brasil wird zudem vorgeworfen, schwarze Listen über Betriebsangestellte und Berichte über Mitarbeiter an Repressionsorgane der Militärdiktatur übergeben und als oppositionell geltende Angestellte entlassen zu haben. Zu den von Mitarbeitern von Volkswagen in den 1970er Jahren Ausspionierten zählte auch der damalige Gewerkschafter und spätere Präsident Luiz Inácio Lula da Silva.
3) Die Anzeige fordert zudem eine Klärung der Vorwürfe, Volkwagen habe – so wie andere multinationale Konzerne in Brasilien – das berüchtigte Folterzentrum OBAN unterstützt. Die Anzeige erwähnt die freiwillige Zurverfügungstellung von Fahrzeugen für das OBAN, das ab 1970 unter dem Namen DOI-CODI in São Paulo operierte und in dem laut neuesten Erkenntnissen 66 Menschen ermordet wurden, 39 von diesen starben dort unter den entsetzlichen Qualen der Folter. Von weiteren 19 Menschen stammt ihr letztes Lebenszeichen, dass sie verhaftet und ins DOI-CODI verbracht wurden. Seither gelten sie als verschwunden.
4) 2013 wurden in den Archiven des vormaligen Geheimdienstes Brasilien, Serviço Nacional de Informações (SNI), Dokumente gefunden, die die Zusammenarbeit von Industrie und Unternehmern mit den brasilianischen Repressionsorganen nahelegten. Den als Verschlusssache deklarierten Dokumenten ist zu entnehmen, dass als Mittelsmänner für die Industrie das Forschungsinstitut Ipês (Instituto de Pesquisas e Estudos Sociais) und die Industriemobilisierungsgruppe GPMI des Industrieverbands FIESP in São Paulo (Grupo Permanente de Mobilização Industrial da Federação das Indústrias do Estado de São Paulo) fungierten. Die Industrie- und Unternehmervertreter – unter ihnen auch Volkswagen sowie die heutige VW-Tochter Scania – hätten zur Zeit der Militärdiktatur diese zwei Institutionen finanziell gefördert, damit diese gemeinsam mit der Obersten Heeres Schule (Escola Superior de Guerra) einen »militärisch-industriellen Komplex“ gegen den Widerstand aufbauen. Laut einer dem Dachverband vorliegenden Doktorarbeit hat Volkswagen do Brasil dem GPMI mündliche Zusagen über Zahlungen geäußert: »doação verbal«, so steht es in der Dissertation. Solche finanzielle Unterstützung sei zudem, so die heute in São Paulo eingereichte Anzeige gegen VW, bereits vor dem Militärputsch von 1964 erfolgt: Die in Brasilien ansässigen multinationalen Konzerne hätten gegen die demokratisch gewählte Regierung von João Goulart konspirativ gewirkt, um diese durch einen späteren Militärputsch zu stürzen, was am 1. April 1964 dann auch geschah. Einundzwanzig »bleierne Jahre« folgten.
Eine kleine Presseschau von heute dazu:
http://www.bild.de/geld/wirtschaft/volkswagen/au-weh-vw-42680714.bild.html
http://www.stern.de/auto/news/volkswagen-skandal-im-ticker--vw-heuert-us-staranwaelte-an---new-yorker-generalstaatsanwalt-ermittelt-6465260.html
http://www.manager-magazin.de/unternehmen/autoindustrie/vw-ticker-vw-engagiert-deepwater-horizon-anwaelte-a-1054288.html
https://mopo24.de/nachrichten/sao-paulo-wurden-vw-mitarbeiter-in-brasilien-gefoltert-14752
http://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/braunschweig_harz_goettingen/Zivilklage-gegen-VW-in-Brasilien-eingereicht,volkswagen836.html
http://www.huffingtonpost.de/2015/09/23/neue-vorwuerfe-gegen-vw-konzern-soll-folter-von-angestellten-in-brasilien-geduldet-haben_n_8181274.html
https://www.tt.com/wirtschaft/unternehmen/10543702-91/vw-holt-sich-hilfe-von-deep-horizon-anw%C3%A4lten-neue-klage.csp
http://www.badenertagblatt.ch/wirtschaft/zivilklage-gegen-vw-wegen-verhaltens-waehrend-diktatur-in-brasilien-129583511
http://www.srf.ch/news/wirtschaft/vw-kommt-nicht-aus-schlagzeilen-klage-wegen-foltervorwuerfen
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/vorgehen-waehrend-militaerdiktatur-zivilklage-gegen-vw-in-brasilien-eingereicht-1.2660580
http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2015-09/volkswagen-zivilklage-brasilien-militaerdiktatur
http://www.welt.de/wirtschaft/article146738369/VW-soll-Folter-von-Arbeitern-zugelassen-haben.html
http://www.nzz.ch/wirtschaft/vw-weiter-unter-beschuss-1.18617752
http://www.nzz.ch/wirtschaft/vw-schaltet-bekannte-anwaltskanzlei-ein-1.18617759
http://wirtschaftsblatt.at/home/boerse/europa/4827237/Gibt-das-VWPraesidium-heute-Martin-Winterkorn-noch-eine-Chance
http://www.swissinfo.ch/ger/zivilklage-gegen-vw-wegen-verhaltens-waehrend-diktatur-in-brasilien/41676916
http://www.n24.de/n24/Nachrichten/Wirtschaft/d/7343586/hat-vw-die-folter-von-arbeitern-zugelassen-.html
http://www.bluewin.ch/de/news/wirtschaft---boerse/2015/9/23/zivilklage-gegen-vw-wegen-verhaltens-waehrend-dikta.html
http://www.news.de/wirtschaft/855621015/vw-neuer-skandal-bei-volkswagen-nach-diesel-abgasen-vw-soll-folter-von-mitarbeitern-in-brasilien-zugelassen-haben/1/
http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/militaerdiktatur-in-brasilien-vw-soll-folter-der-mitarbeiter-hingenommen-haben/12356552.html
http://www.20min.ch/finance/boerse/story/15057882
http://www.mdr.de/nachrichten/vw-brasilien-klage100.html
http://www.kleinezeitung.at/k/wirtschaft/4827249/Wegen-Verhaltens-in-der-Diktatur_Zivilklage-gegen-VW-in-Brasilien-
http://www.dw.com/en/brazil-torture-lawsuit-against-vw/a-18731165
http://auto.economictimes.indiatimes.com/news/industry/lawsuit-against-volkswagen-accused-of-cooperating-with-brazilian-military-dictatorship/49068984
http://malaysiandigest.com/world/570571-volkswagen-accused-of-cooperating-with-brazilian-military-dictatorship.html
http://www.ibtimes.co.uk/volkswagen-accused-cooperating-brazils-military-dictators-1520789
https://uk.news.yahoo.com/volkswagen-accused-cooperating-brazilian-military-235520021.html#LQVT6hU