258/259 | Kommunikation und Aktion in der Krise

Wertewandel in Brasilien Als Tagungsreader zur ersten Online Fachtagung Runder Tisch Brasilien bereitet das vorliegende Heft die Kommunikationslandschaft Brasiliens neu auf. Wer bestimmt gesellschaftliche Diskurse? Auf welcher Basis?
| von tilia.goetze@kooperation-brasilien.org
258/259 | Kommunikation und Aktion in der Krise

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Inhalt:

Politik im Namen Gottes
Leandro Fontana

Evangelikale in der brasilianischen Politik
Christina Vital da Cunha

Räum die Fundamentalismen aus dem Weg
Tina Kleiber

Für das leben aller Frauen!
Verônica Ferreira

Frau, Schwarz und lesbisch in Brasilien – mitten in der Pandemie

Mariana Andrade Fausto

Jugendliche im Visier der Polizei

Ralf Willinger, Andrea Zellhuber

Die virtuelle Welt: Eine neue politische Arena
Paulo Maldos

Lügen, Polemik und Fake News Der Kampf gegen die Desinformation
Sergio Amadeu da Silveira

„Das Eine Brasilien“: Medienkonzerne schreiben Realität
Carlos Magno, Rosa Sampaio

Kommunikation und Politik in Brasilien
Paulo Victor Melo, Robertha Barros

Der braslianische Amazonas-Deal: Zwischen Schutz und Entwicklung
Artur Sgambatti Monteiro, Karina Marzano Franco, Carlos Rittl

Bayer und BASF: Milliardengeschäfte im globalen Süden
Lena Luig

Editorial

Als Tagungsreader zur ersten Online Fachtagung Runder Tisch Brasilien bereitet das vorliegende Heft die Kommunikationslandschaft Brasiliens neu auf. Wer bestimmt gesellschaftliche Diskurse? Auf welcher Basis? In der virtuellen politischen Arena 2020 geht es längst nicht mehr allein um politische Botschaften, sondern auch darum, eine möglichst große Zielgruppe (z.B. potenzielle Wähler*innen) zu erreichen. Längst ist ein Kampf um Werte und Wahrheiten entbrannt, auf den soziale Bewegungen nicht immer gut vorbereitet waren. Es geht daher um politische Verortung und Widerstand im digitalen Zeitalter. Denn die aktuelle Regierung hält ihre Macht mit kriminellen Strategien.

Bolsonaros Regierung betreibt offiziell Desinformationspolitik, mit Polemik und Stimmungsmache gegen politische Gegner*innen. Kommunikation wird als Machtinstrument benutzt und entbehrt häufig jeglicher sachlichen Grundlage. Eine semi-offizielle Gruppe geleitet von Präsident Bolsonaros Söhnen ist dafür zuständig, Fake News über Whatsapp und andere soziale Medien zu verbreiten. Ein Skandal und eine Herausforderung für Menschenrechte und Demokratie. Während Bolsonaro sich selbst nicht an Abstandsregeln während der Pandemie hält und seine Anhänger*innen explizit dazu aufruft, sich auf der Straße zu versammeln, sehen seine Gegner*innen größtenteils davon ab und versuchen, ihre Proteste in die virtuelle Welt zu verlegen. Auch dort stoßen sie auf in Kommunikationsfragen gut geschulte rechte Gruppierungen.

Die Gruppe der Evangelikalen beispielsweise nutzt ihre Wirtschaftsunternehmen und Kommunikationsplattformen geschickt für eine moralbasierte Politikgestaltung „im Namen Gottes“. Zwei Artikel beleuchten Historie, Spiritualität und Strategie einer zunehmend erfolgreichen Machtfraktion im brasilianischen politischen Geschehen.

Kommunikation hat sich mit COVID-19 weltweit verändert. Eine der besonders betroffenen Gruppen der Pandemie sind Frauen. Auch sie sind nun dabei, sich besser zu organisieren und neue Netzwerke der Solidarität zu formen. Dabei liegt ihr Schwerpunkt darauf, sich trotz unterschiedlicher Identitäten, sei es basierend auf sozialer Herkunft, Hautfarbe, sexueller Orientierung oder Religion, zu verbünden und gemeinsam gegen das Patriarchat vorzugehen.

Umweltschützer*innen kritisieren vehement die neuen Narrative für Amazonien, wie sie die brasilianische Regierung und ihr militärisches Lager derzeit vorantreiben. Sie fordern unter anderem (alternativ), Schutz und Entwicklung Amazoniens von der lokalen Bevölkerung aus zu denken. Umwelt- und Klimaschutz braucht immer auch eine internationale Perspektive, besonders wenn es um internationale Standards der Unternehmensverantwortung geht. Der Kampf gegen Bayer und BASF mit ihren Milliardengeschäften im Globalen Süden ist ein Beispiel dafür.

Die Pandemie ist immer noch außer Kontrolle. Mit ihr die erdrückenden Nachrichten von täglich tausenden Toten, steigender Armut und Ungleichheit, Gewalt an Frauen, Polizeigewalt gegen Schwarze Jugendliche in den Favelas. Parallel immer mehr Desinformation und Distanzierung von der Wissenschaft auf Regierungsseite. Gibt es da überhaupt noch Hoffnung? Die Artikel in diesem Heft bieten Hintergründe und Analysen von Prozessen, die schief laufen. Sie zeigen aber auch die Widerstandskraft der Bewegungen und diverse Lösungsvorschläge, um aus der Spirale des Verfalls der Demokratie zu entkommen.