Siemens: In den nächsten 5 Jahren keine Staatsaufträge in Brasilien mehr
Die Meldung wäre im Zuge der täglich neuen Meldungen aus Brasilien zum Korruptions- und Schmiergeldskandal um Brasiliens Erdölkonzern Petrobras und die brasilianischen Baukonzerne beinahe unbeachtet geblieben: Wieder einmal wurde die brasilianische Niederlassung von Siemens mit einem Bann für die Dauer von fünf Jahren von allen Staatsaufträgen, die der Bund in Brasilien vergibt, bestraft. Es geht dabei um Korruptionsvorwürfe gegen Siemens-Mitarbeiter bei Ausschreibungen der brasilianischen Post und Telekom zwischen 1999 und 2005. Der nun erfolgte Bannspruch über Siemens wurde im offiziellen Mitteilungsblatt Brasiliens, dem Diário Oficial da União, am 12. Juni 2015 bekanntgegeben. Dort heißt es, dass Siemens Ltda. (also die Niederlassung von Siemens in Brasilien, nicht nur eine der vielen Tochtergesellschaften) seit dem 3. Juni 2015 von allen Staatsaufträgen des Bundes in Brasilien ausgeschlossen ist beziehungsweise sich gar nicht um die Teilnahme an den Ausschreibungen bewerben darf. Diese Sperre gelte, so das Diário Oficial da União, bis zum 3. Oktober 2019. Die Bekanntmachung ergänzt, dass die Sperre der brasilianischen Niederlassung von Siemens bereits in den Zeiträumen vom 17. Dezember 2009 bis zum 21. Juni 2010, sowie zwischen dem 22. August 2013 und dem 2. September 2013 und zwischen dem 11. Februar 2014 und dem 28. März 2014 gegolten habe. Nun, ab dem 3. Juni 2015, gelte sie wieder. Aufgehoben war sie jeweils wegen Rechtseingaben vor Gericht, doch nun, so das Diário Oficial da União, seien diese Einsprüche gerichtlich zurückgewiesen worden. Ob diese Meldung dem Siemens-Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser, der gerade in Brasilien weilte, gefallen hat? Schliesslich ließ er doch gerade verkünden, dass Siemens Brasilien seinen Umsatz bis zum Jahr 2020 auf 10 Milliarden Reais (derezeit umgerechnet 2,84 Milliarden Euro) fast verdoppeln wolle.
Siemens setzte im Geschäftsjahr 2014 (01.10.2013 – 30.09.2014) nach eigenen Angaben in Brasilien 1,514 Milliarden Euro um (2013 waren dies noch 1,95 Milliarden Euro), bei einem Mitarbeiterstand von 6.330. Vorrangige Geschäftsfelder waren eigenen Angaben zufolge Energie, Gesundheit, Industrie sowie städtische Infrastruktur.
Dabei ist dieser Bann von Amtswegen her für Siemens in Brasilien in der Tat keine neue Erfahrung. In der Sache bestreitet Siemens laut eigenen Angaben den Vorgang nicht, Siemens habe selbst den Vorgang infolge eigener interner Recherchen nach den Schmiergeldskandalen aufgedeckt und die Behörden darüber informiert, Siemens selbst sei der “Whistleblower” gewesen. Andere Presseberichte sprechen jedoch davon, Siemens bestreite die Vorwürfe in dem Sachverhalt Bestechung bei der brasilianischen Post.
Dennoch wurde Siemens vom zuständigen Gericht von Staatsaufträgen des Bundes ausgeschlossen. Und dies – wie oben beschrieben – mehrmals. Aber Siemens ging jedesmal in Berufung und bekam Recht. Der letzte Richterentscheid, der Siemens freisprach, führte als Argument an, es gehe darum, “vom öffentlichen Gesundheitswesen [Brasiliens] Schaden abzuwenden”. Denn Siemens hat im Bereich bildführender Geräte – also CT, MRT etc – in Brasilien einen sehr hohen Marktanteil: Nach Angaben des Unternehmens stammen 30 Prozent aller Geräte für die medizinische digitale bildgebende Diagnostik in Brasilien von Siemens. Offenbar ließ also die Marktmacht von Siemens in einem anderen Wirtschaftssektor (Healthcare) die Richter davor zurückschrecken, Siemens gleich ganz von öffentlichen Aufträgen abzuschneiden. Schon damals erfolgte also kein Freispruch von den Bestechungsvorwürfen an sich. Bleibt also abzuwarten, ob Siemens erneute Rechtsmittel einlegt und wie dann das zuständige Gericht darüber befinden wird. Und welcher Wirtschaftssektor in Brasilien dann argumentativ in Gefahr geraten könnte, wenn dem deutschen Branchenprimus aus München sämtliche Beteiligung an Staatsaufträgen dauerhaft versagt bleiben würde. Derzeit beispielsweise erfolgt ein Großteil der Turbinenlieferungen für die im Bau befindlichen Großstaudämme in Amazonien wie Belo Monte von einer Niederlassung der VoithHydro in Manaus – und an VoithHydro hält Siemens 35 Prozent Anteil. Und die Fertigstellung von Staudämmen wie Belo Monte liegt für Brasiliens Regierung “im nationalen Interesse”.
Dabei geht es für Siemens vor Brasiliens Gerichten derzeit noch um weit mehr als nur den Ausschluss von Staatsaufträgen: Die Staatsanwaltschaft des Bundesstaats von São Paulo hat wegen des sogenannten U-Bahn-Kartells Entschädigungen in Millionenhöhe sowie die Auflösung von zehn Firmen, darunter Siemens Brasilien, Alstom Brasilien und Bombardier Brasilien, gefordert. Dies geht aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 4. Dezember 2014 hervor.
Den Firmen Siemens Ltda, Alstom Brasil Ltda, CAF Brasil Ltda, TTrans, Bombardier Ltda, MGE Ltda, Mitsu & CO (Brasil) S.A., Temoinsa do Brasil Ltda, Tejofran Ltda und MPE wirft die Behörde vor, im Untersuchungszeitraum von 2000 bis 2002 bei Ausschreibungsverfahren für die Wartung von U-Bahnzügen der Stadt von São Paulo Kartellabsprachen untereinander getroffen zu haben und bei Verträgen in Höhe von insgesamt 418.315.055,38 Reais (umgerechnet rund 130 Millionen Euro) einen Kartellaufschlag von 30 Prozent erhoben zu haben.
Laut Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft, die auch auf Aussagen von führenden Siemens-Mitarbeitern beruhen, hätten die Firmen Absprachen über die Höhe der jeweils zu stellenden Gebote getroffen, um so den durchschnittlichen Aufpreis von rund 30 Prozent erzielen zu können. Laut den Anklagevertretern hätten sich die Firmen im Rahmen des Bieterverfahrens auch vorab darüber verständigt, dass die jeweils als Verlierer aus dem Bieterverfahren hervorzugehenden Firmen mit Absicht Formfehler in die Bewerbungen eingebaut hätten, um so dem vorab beschlossenen Sieger der Ausschreibung den Zuschlag zu ermöglichen. Als drittes Kartellvergehen der Beschuldigten werden die vorab getroffenen Abmachungen aufgeführt, dass nach den Ausschreibungen keine Überprüfungseinsprüche der offiziell im Gebotsverfahren unterlegenen Bieter erfolgen.
Laut der Tageszeitung Globo fordert die Behörde 130 Millionen Euro Entschädigung für die Kartellabsprachen zwischen 2000 und 2002 sowie für die zehn mit Firmensitz in Brasilien tätigen Konzerne die richterliche Schließung, darunter befinden sich die Töchterkonzerne von Bombardier, Alstom und Siemens. Eine Schließung der Firmen sei “die einzig wirksame Maßnahme, die unerlaubten und schädlichen Aktivitäten [der Firmen] zu unterbinden”, so die Staatsanwälte in ihrer Anklageschrift. Stürmische Zeiten stehen Siemens in Brasilien wohl bevor.