Die PEC 65/2012: Das Fanal
Mehrmals wurde in Brasilien das Großprojekt Belo Monte seit der Planphase 2006 bis zur Inbetriebnahme der ersten Turbine 2016 gestoppt. Das Gleiche trifft auf andere Großprojekte wie die Verdoppelung der Carajás-Eisentrasse, diverse Bundesstrassen, Hafen- und petrochemische Projekte ebenso wie Stahlwerke oder die unzähligen Bergbauprojekte zu. Die meisten der Baustopps wurden wieder aufgehoben, bei einigen wurden verschärfte Auflagen gefordert, doch unter den von Großprojekten Betroffenen herrscht meist Ernüchterung. Dem "Fortschritt" und der "Entwicklung" haben sie in der Vergangenheit allzuoft zu wenig entgegenzusetzen gehabt. Zu ungleich sind die Machtverhältnisse, zumal wenn diese ergänzt werden durch noch aus der Zeit der Militärdiktatur herrührende, in Anwendung befindliche Dekrete wie die sogenannte „Suspensão de Segurança“, also das Außerkraftsetzen eigentlich verfassungsrechtlich vorgesehener Prinzipien mit dem Verweis auf höherwertige nationale Interessen.
Dennoch aber, bei aller Fragilität, galt brasilianisches Umwelt- und Baurecht. Demnach muss jedes Großprojekt durch das dreistufige System der vorläufigen, der Niederlassungs- und der definitiven Betriebsgenehmigung. Bei aller Prekarität und der nach wie vor geltenden Rechtsunsicherheit über die Frage, ob die Anhörung der betroffenen Bevölkerung nur in Form einer bloßen Durchführung der "Anhörung" oder nach Maßgaben der ILO-Konvention 169 deren "Zustimmung" erfordert, gab es immerhin die Bedingung der Möglichkeit der Rechtssicherheit für Betroffene.
Damit soll nun nach Willen einer Senatskommission Schluß sein. Ende April votierte eine Senatskommission für eine Verfassungsänderung, die das Umweltgenehmigungsverfahren für Großprojekte drastisch vereinfachen, sprich: unternehmerfreundlicher gestalten soll. Nach der Senatskommission soll nach Willen der BefürworterInnen als nächstes die Hürde im Senatsplenum genommen werden, bevor das Abgeordnetenhaus darüber abstimmen soll. Angesichts der bekannten derzeitigen politischen Ausrichtung des brasilianischen Nationalkongresses keine erfreulichen Aussichten.
Die Vorlage zur Verfassungsänderung PEC 65/2012 sieht die Abschaffung des dreistufigen Systems der vorläufigen, der Niederlassungs- und der definitiven Betriebsgenehmigung vor und will stattdessen nur noch auf die Erstellung einer Umweltfolgenstudie durch die am Bauvorhaben interessierte Firma setzen. Anhörungen oder weitere Auflagen, die von den Firmen allzuoft als "Gängelung durch die Behörden" angesehen werden, könnten dann zwar weiterhin durchgeführt werden, aber sie hätten keine faktische Rechtseinwirkung mehr auf den Fortgang (oder eben Nicht-Fortgang) des Großprojekts. So soll nach Willen der BefürworterInnen der PEC 65/2012 sichergestellt werden, dass Großprojekte in ihrem Lauf nicht mehr "behindert" werden sollten. Für industrielle Großprojekte, Staudämme oder extraktive Industrien wie Bergbau, Rohstoffförderung und -verarbeitung gäbe es dann in Brasilien kaum noch Hindernisse, es sei denn, es stellten sich ihnen mutig ein paar KleinbäuerInnen, Indigene oder FischerInnen entgegen. Doch ob diese noch genügend Kraft zum Widerstand haben werden, ist mehr als fraglich.