Brasiliens Kleinfischer protestieren gegen massive Kürzungen bei Sozialleistungen
Nachdem Brasiliens Regierung im März dieses Jahres bereits das Dekret 8.424 zur Neuregelung des Schonzeitenausfallgelds veröffentlicht hatte, legt die Regierung nun mit der Vorläufigen Durchführungsbestimmung MP 665/2014 nach, die auch für die Kleinfischer weitere massive Einschnitte bei sozialrechtlichen Bestimmungen für ihre Berufsgruppe vorsieht. In Brasilien bestreitet Erhebungen des Fischereiministeriums jeder 200. Einwohner Brasiliens den Lebensunterhalt für sich und seine Familien durch Kleinfischerei. Dies entspricht einer Million Menschen, die als Kleinfischer tätig sind.
Die Kleinfischer werfen der Regierung und dem Nationalkongress vor, der Kleinfischerei Brasiliens den Garaus machen zu wollen. Auf der Anhörung im Senat Ende April erläuterte Manoel Bueno dos Santos von dem Movimento dos Pescadores e Pescadoras, dass 70 Prozent des von den Brasilianianerinnen und Brasilianern konsumierten Fischs aus der Kleinfischerei stammt. Und die solle nun dem Markt der Großen geopfert werden. Carlos Alberto Pinto dos Santos vom Unterstützungsnetzwerk für Sammelreserven und traditionelle Völker, der Comissão Nacional de Fortalecimento das Reservas Extrativistas e Povos Tradicionais, warnte ebenfalls vor der Zerstörung der lokalen Kleinfischerei durch die Gesetzesvorhaben. Die Regierung ignoriere "die traditionelle Bevölkerung, deren Kultur des Teilens und Tauschens. Der Fischer pflanzt auch an, erntet, kultiviert Maniok, Kartoffeln und hat Kleinvieh. Aber dieses neue Modell, das die uns da auferlegen wollen, das wird uns auslöschen. Wer hegt das Interesse, die Kleinfischerei zu schwächen? Sind es vielleicht die Großfarmer, damit sie uns als billige Arbeitskräfte bekommen? Brasilien ist auf dem Weg in die erste Welt, aber unsere Kulturen, die diese Nation begründet haben, die schmeissen sie in den Müll", empörte sich Pinto dos Santos.
Die im Senat zur Debatte am 14. Mai 2015 vorliegende Vorläufige Durchführungsbestimmung MP 665/2014 hat zum Ziel, die Anspruchsdauer und -höhe von Sozialleistungen des Staates zu beschneiden, darunter fällt auch die Kleinfischerei. Brasiliens Kongress hatte erst vor kurzem weitreichende Änderungen im brasilianischen Arbeitsrecht vorgenommen wie beispielsweise beim Outsourcing. Laut den protestierenden Kleinfischern träfen sie die nun zur Debatte stehenden Einschnitte doppelt. Denn bereits das Dekret 8.424 zur Neuregelung des Schonzeitenausfallgelds vom 31. März 2015 hatte die Rechte der Kleinfischer massiv beschränkt. Nach diesem wurde die Anerkennung der Kleinfischer durch neue bürokratische Hürden massiv erschwert, zudem wurde festgelegt, dass die sozialstaatlichen Zahlungen an Kleinfischer nicht mehr vom Arbeitsministerium geleistet, sondern von der Rentenbehörde kommen sollten, was laut Ansicht der Fischer zu Verzögerungen führe und vermehrten Bürokratieaufwand bedeute. Die von der Regierung nun eingebrachte Vorläufige Durchführungsbestimmung MP 665/2014 hat in Bezug auf die Kleinfischerei zum Ziel, die Karenzzeit bis zur Erstbeantragung des Schonzeitenausfallgeldes, das allen Kleinfischern im Zeitraum der Fisch- und Angelschonzeit von drei bis sechs Monaten während der Laichzeit der Fische zusteht, von einem auf drei Jahre zu erhöhen, was Berufsneueinsteigern die mehrmonatige Überbrückung deutlich erschwerte. Zudem werde die Zahlung auf fünf Monate beschränkt, während die Fischschonzeit je nach Fischart oftmals sechs Monate betrage. Und die Bezieher des Schonzeitenausfallgeldes werden künftig in Bezugstźeitraum von anderen Sozialleistungen wie beispielsweise Zahlungen aus dem Familienstipendienprogramm Bolsa Família temporär ausgeschlossen, obwohl die Zahlung dessen nicht an die Arbeitssituation des Begünstigten, sondern an die Einkommenssituation sowie die Schulpflichtigkeit der Kinder gekoppelt ist. Zudem kritisieren die Kleinfischer, dass die Regierungsmaßnahme die umfangreiche Informalität und Komplexität der Produktionskette im Kleinfischereiwesen ignoriere. Denn das Schonzeitenausfallgeld werde in Zukunft nur den Fischern selbst, aber nicht mehr den ebenfalls von der Kleinfischerei abhängigen, an Land tätigen Personen gewährt; Tätigkeiten wie das Sortieren von gefangenen Meeresfrüchten oder das Reparieren von Fisch- und Angelgerät, das oft von Frauen ausgeübt werde, falle somit in Zukunft komplett aus der Sozialunterstützung heraus.
Der bei der Anhörung im Brasilianischen Senat anwesende Vertreter der Fischerpastorale, Raimundo Marcos Souza Brandão da Silva, betonte die Bedeutung des bisherigen Schonzeitenausfallgeldes für das Überleben der brasilianischen Kleinfischerei: "Wie sollen die Fischer ihre Familien während der vom Staat verlängerten Schonfrist ernähren?" Das bedeute zunehmende Marginalisierung und Verelendung eines ganzen Berufsstandes und ihrer Familien. "Diese Gesetzesnderungen sind unverantwortlich und wurden vorgenommen ohne auch nur die geringste Ahnung davon zu haben, wie unsere Gesellschaft funktioniert und was die Bedürfnisse unserer arbeitenden Bevölkerung sind", so Souza Brandão da Silva.